Wer in einem Buch die Kapitelüberschrift „Corps Borussia und die SPD“ liest, mag zunächst staunen. Die Erinnerungen des Bonner Preußen Thilo von Trotha, aktiv in den Jahren 1963 und 1964, später Redenschreiber für Bundeskanzler Helmut Schmidt, lohnen sich auch für Corpsstudenten außerhalb des Weißen Kreises.
Lebenserinnerungen können
lehrreich und unterhaltsam sein. Und im hier vorliegenden Buch wird der
Leser nicht enttäuscht – dies vorweg. Erinnerungen zu finden, in denen
die Studentenzeit ihre gebührende Rolle findet, ist jedoch ein
Kunststück. Zumal, wenn es um die corpsstudentische Ausprägung geht. Und
so wird hier die Lektüre doppelt belohnt. Trotha erläutert, um ein
Beispiel dafür zu nennen, den Ablauf einer Kneipe detailliert. Hier wird
manches eher Interne aufgefacht, aber liebevoll, diskret und nie
abfällig. Die genaue Beschreibung, wie ein Bierjunge stattfand, sollten
Aktive lesen und wiederbeleben: In den letzten Jahren ging offenbar bei
manchen Corps das Gedächtnis über dessen Ablauf, die Kunst dabei und den
Spaß daran, gründlich verloren.
Aus (mindestens) drei
Gründen lohnt die Lektüre des Buches für Kösener und andere Korporierte –
die Abläufe von Bierjungen, Kneipen und auch der (seiner) Mensur; die
Einsicht, wie jemand politische Arbeit in SPD und Bundeskanzleramt mit
einer herzlichen Liebe zum Corps verbinden kann; und darüber hinaus
locker und unprätentiös geschriebene Einblicke in die Wirrungen eines
Flüchtlingskindes aus der Zone, der im Herzen der Bundespolitik landete.
Zudem Einsichten zum Umgang der Elterngeneration mit der Vergangenheit
„Die Jungen erkannten schockiert, wie bedenkenlos die Eltern die zwölf
Jahre der Nazi-Tyrannei abgeschüttelt hatten, wie sie gleich Badegästen
aus dem Wasser der Vergangenheit gestiegen waren, sich abgetrocknet und
erlesene Sonnenschutzmittel aufgelegt hatten.“
Ähnliche
wortstarke Einsichten bietet Trotha selbst zum Bierjungen: Der
Unparteiische habe beim „Kaisercorps“ zum Abschluss „per Handschlag
immer dem Unterlegenen als dem „zweiten Sieger“ gratuliert. Der oder die
Sieger gingen stolz, aber ohne Handschlag vom Platz. Ich habe den
Brauch, den Verlierer ohne Hohn und Häme zu beglückwünschen, als eine
der liebenswürdigsten Züge des Corps in Erinnerung.“ Seine Bonner
Beobachtung stimmt indes nicht für alle Biercomments – anderswo trinkt
der Unparteiische oft auf den zweiten Biersieger „nicht ohne zuvor auf
das Wohl des ersten Biersiegers getrunken zu haben“.
Statt
Umschreibungen hier besser Zitate, mit denen Thilo von Trotha begründet,
warum ihm das Corps nahe ist – mit Sätzen, die wohl die meisten teilen,
die aber nicht jeder so zu formulieren vermag wie Trotha, der 76 Jahre
alte Gründer und Ehrenpräsident des Verbandes der Redenschreiber
deutscher Sprache. Er habe sich eins gefühlt mit seiner Umgebung in „dem
Geflecht von Geradheit, auch wenn sie oft roh war, von Zuverlässigkeit,
oft als Gehorsam karikiert, und von trotz aller kleinen Intrigen
wunderbaren Lauterkeit des corpsbrüderlichen Umgangs“. Im Fuchsendasein,
der Mensur, dem von ihm eigentlich ungeliebten Biertrinken findet und
beschreibt er das Positive – selbst an die Quadrille mit „ihrem herrlich
Überflüssigen“ erinnert sich der Autor mit erkennbarer Freude und
Dankbarkeit: „Das bot das Corps zu lernen an, Dingen außerhalb der
eigenen Person Wert beizumessen und sich zugleich selbst nicht allzu
wichtig zu nehmen.“ So wurde das Corps für Trotha „zum unendlich
wertvollen Geschenk“. Und das Buch zum Geschenk an Corpsstudenten
innerhalb des Weißen Kreises und darüber hinaus, zumal die meisten
anderen Erinnerungen von Kösenern oft im Selbstverlag erschienen; und
kaum eine von diesen so detailliert die Rituale und Begründungen des
Corpslebens offenlegt.
Robert v. Lucius, Saxo-Borussia, Borussia Bonn idC
Thilo von Trotha, „Pioniere reiten los. Ein Leben in zwei Deutschland“, Lau Verlag, Reinbek 2016, 260 S., geb., 22,90 €