Gedenkveranstaltung der Bundesregierung zum 72. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats

By | 20. Juli 2016

Von Markus Wilson-Zwilling

Der 20. Juli war ein wolkenloser Sommertag, der schon morgens warm zu werden versprach. Als ich zu einem späten Frühstück aus meinem Zimmer des Hotels kam, das genau gegenüber dem Eingang zur Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendlerblock liegt, fielen mir sogleich die schwer ausgerüsteten Bundespolizisten auf, die die Flure im Hotel auf und ab patrouillierten. Mit der diesjährigen Gedenkveranstaltung am 72. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Ehrenhof des Bendlerblocks brachte ich das aber erst in Verbindung, als ich das Hotel verlassen hatte und die Straße entlangblicken konnte. Denn starke Polizeikräfte hatten die gesamte Stauffenbergstraße oben und unten abgeriegelt, und es fuhren schwere schwarze Limousinen mit Blaulicht vor, Leute stiegen aus, und verschwanden hinter der Einlasskontrolle mit Körperscanner und Spürhunden am Hofeingang.

Unwillkürlich tastete ich nach meiner Einladung zur Gedenkveranstaltung, denn mir war nun klar, wenn ich jetzt die Karten nicht hätte, würde ich nie und nimmer in den Hof gelassen werden. Ich war etwas vor Veranstaltungsbeginn da, und betrachtete die verschiedenen Kränze, die bereits in der Hofmitte ausgelegt waren. Jede Institution hatte einen Kranz beigesteuert. Der Bundespräsident machte den Anfang, gefolgt vom Bundestagspräsidenten, Bundesratspräsidenten, Bundesverfassungsgerichtspräsidenten, bis hin zum Regierenden Bürgermeister von Berlin, des Abgeordnetenhauses von Berlin und der Bundesverteidigungsministerin der Verteidigung. Doch in der Mitte war der Kranz der Stiftung 20. Juli 1944 mit seinen weiß-blauen Kranzschleifen.

Der Festakt begann mit dem Choral „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ von J. S. Bach, den das Heeresmusikkorps Neubrandenburg intonierte. Es folgten Ansprachen von Prof. Dr. Robert v. Steinau-Steinrück, dem Vorsitzenden des Vorstands der Stiftung 20. Juli 1944, Michael Müller, MdA, Regierender Bürgermeister von Berlin und Dr. Barbara Hendricks, MdB, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Ich will aber jetzt nicht die Redebeiträge b im Einzelnen beleuchten, sondern nur zwei Aspekte herausgreifen. Da ist zum einen der Ausspruch von Helmuth James Graf von Moltke am 18. April 1942: „Für uns ist Europa nach dem Krieg weniger eine Frage von Grenzen und Soldaten, von komplizierten Organisationen und großen Plänen, sondern der Wiederaufrichtung des Bildes des Menschen im Herzen unserer Mitbürger.“ Das verknüpft das Geschehen des 20. Juli ganz nah mit unserer Gegenwart, denn der Kreisauer Kreis, der von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg geführt wurde, entwarf damals bereits das Programm für ein Europa des Friedens. Ziel des Kreisauer Kreises war die grundlegende Neuordnung Deutschlands nach dem Kriege. Wie das obige zurecht vielfach angeführte Zitat Moltkes zeigt, sollte sich diese Neuordnung nicht allein auf die politischen und wirtschaftlichen Strukturen beziehen, sondern die gesamte Gesellschaft umfassen. Angesichts der Verbrechen und der Verrohung der Menschen im nationalsozialistischen Massenstaat waren die Kreisauer überzeugt, dass es einer tiefgreifenden ethischen Reform der Gesellschaft bedürfe und diese beim Menschen selbst beginnen müsste.

Zum anderen wies Prof. v. Steinau-Steinrück darauf hin, dass es sehr bedauerlich sei, dass die Fahne, die Josef Wirmer als neues Staatssymbol für ein befreites Deutschland entworfen hatte, neuerdings von Demonstranten, die eben genau diese Ziele eines Europas in Frieden nicht haben, sondern von einem neuen Nationalismus träumen, auf den Demonstrationszügen gezeigt wird. Dabei hätten diese Menschen wohl nicht verstanden, um was es Josef Wirmer damals gegangen ist. Sie aber hätten wohl bloß „Widerstand“ gehört, und dächten, sie seien nun auch einem – vermeintlich gerechtfertigten – Widerstand gegen den Staat und das oft belächelte Grundgesetz. Dabei sind die Artikel 1 und 20 Grundgesetz unmittelbare und unbedingte Lehren aus dem 20. Juli 1944 und setzen ein freiheitliches und demokratisches Weltbild voraus.

Es folgte mit den Ehrenposten und Kranzträgern des Wachbataillons die Niederlegung des Kranzes an der Wand des Ehrenhofes durch Bundesministerin Hendricks und den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker. Danach das Trompetensolo „Der gute Kamerad“, eine Melodie, zu der unsere Großmutter immer weinen musste, weil ihr geliebter Vater als Chef des 9. Bayer. Artillerieregiments im Ersten Weltkrieg in Festieux bei Laon/Picardie gefallen war. Mit der Nationalhymne endete die Gedenkveranstaltung.