Von Markus Wilson-Zwilling
Der 20. Juli war ein wolkenloser Sommertag, der schon morgens warm zu werden versprach. Als ich zu einem späten Frühstück aus meinem Zimmer des Hotels kam, das genau gegenüber dem Eingang zur Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendlerblock liegt, fielen mir sogleich die schwer ausgerüsteten Bundespolizisten auf, die die Flure im Hotel auf und ab patrouillierten. Mit der diesjährigen Gedenkveranstaltung am 72. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Ehrenhof des Bendlerblocks brachte ich das aber erst in Verbindung, als ich das Hotel verlassen hatte und die Straße entlangblicken konnte. Denn starke Polizeikräfte hatten die gesamte Stauffenbergstraße oben und unten abgeriegelt, und es fuhren schwere schwarze Limousinen mit Blaulicht vor, Leute stiegen aus, und verschwanden hinter der Einlasskontrolle mit Körperscanner und Spürhunden am Hofeingang.
Unwillkürlich tastete ich
nach meiner Einladung zur Gedenkveranstaltung, denn mir war nun klar,
wenn ich jetzt die Karten nicht hätte, würde ich nie und nimmer in den
Hof gelassen werden. Ich war etwas vor Veranstaltungsbeginn da, und
betrachtete die verschiedenen Kränze, die bereits in der Hofmitte
ausgelegt waren. Jede Institution hatte einen Kranz beigesteuert. Der
Bundespräsident machte den Anfang, gefolgt vom Bundestagspräsidenten,
Bundesratspräsidenten, Bundesverfassungsgerichtspräsidenten, bis hin zum
Regierenden Bürgermeister von Berlin, des Abgeordnetenhauses von Berlin
und der Bundesverteidigungsministerin der Verteidigung. Doch in der
Mitte war der Kranz der Stiftung 20. Juli 1944 mit seinen weiß-blauen
Kranzschleifen.
Der Festakt begann mit dem
Choral „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ von J. S. Bach, den das
Heeresmusikkorps Neubrandenburg intonierte. Es folgten Ansprachen von
Prof. Dr. Robert v. Steinau-Steinrück, dem Vorsitzenden des Vorstands
der Stiftung 20. Juli 1944, Michael Müller, MdA, Regierender
Bürgermeister von Berlin und Dr. Barbara Hendricks, MdB,
Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Ich
will aber jetzt nicht die Redebeiträge b im Einzelnen beleuchten,
sondern nur zwei Aspekte herausgreifen. Da ist zum einen der Ausspruch
von Helmuth James Graf von Moltke am 18. April 1942: „Für uns ist Europa
nach dem Krieg weniger eine Frage von Grenzen und Soldaten, von
komplizierten Organisationen und großen Plänen, sondern der
Wiederaufrichtung des Bildes des Menschen im Herzen unserer Mitbürger.“
Das verknüpft das Geschehen des 20. Juli ganz nah mit unserer Gegenwart,
denn der Kreisauer Kreis, der von Moltke und Peter Graf Yorck von
Wartenburg geführt wurde, entwarf damals bereits das Programm für ein
Europa des Friedens. Ziel des Kreisauer Kreises war die grundlegende
Neuordnung Deutschlands nach dem Kriege. Wie das obige zurecht vielfach
angeführte Zitat Moltkes zeigt, sollte sich diese Neuordnung nicht
allein auf die politischen und wirtschaftlichen Strukturen beziehen,
sondern die gesamte Gesellschaft umfassen. Angesichts der Verbrechen und
der Verrohung der Menschen im nationalsozialistischen Massenstaat waren
die Kreisauer überzeugt, dass es einer tiefgreifenden ethischen Reform
der Gesellschaft bedürfe und diese beim Menschen selbst beginnen müsste.
Zum anderen wies Prof. v.
Steinau-Steinrück darauf hin, dass es sehr bedauerlich sei, dass die
Fahne, die Josef Wirmer als neues Staatssymbol für ein befreites
Deutschland entworfen hatte, neuerdings von Demonstranten, die eben
genau diese Ziele eines Europas in Frieden nicht haben, sondern von
einem neuen Nationalismus träumen, auf den Demonstrationszügen gezeigt
wird. Dabei hätten diese Menschen wohl nicht verstanden, um was es Josef
Wirmer damals gegangen ist. Sie aber hätten wohl bloß „Widerstand“
gehört, und dächten, sie seien nun auch einem – vermeintlich
gerechtfertigten – Widerstand gegen den Staat und das oft belächelte
Grundgesetz. Dabei sind die Artikel 1 und 20 Grundgesetz unmittelbare
und unbedingte Lehren aus dem 20. Juli 1944 und setzen ein
freiheitliches und demokratisches Weltbild voraus.
Es folgte mit den Ehrenposten und Kranzträgern des Wachbataillons die Niederlegung des Kranzes an der Wand des Ehrenhofes durch Bundesministerin Hendricks und den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker. Danach das Trompetensolo „Der gute Kamerad“, eine Melodie, zu der unsere Großmutter immer weinen musste, weil ihr geliebter Vater als Chef des 9. Bayer. Artillerieregiments im Ersten Weltkrieg in Festieux bei Laon/Picardie gefallen war. Mit der Nationalhymne endete die Gedenkveranstaltung.