Was der Bonner Gelehrte Heinrich Lützeler dem Nationalsozialismus entgegensetzte
Schon das Äußere eines Buches
kann, wenn es gut gemacht ist, wesentliche Hinweise auf den Inhalt
geben. Frank-Lothar Kroll hat hier seinen umfangreichen Forschungen zu
Preußen, Europa und der Literatur eine Pretiose hinzugefügt, und Duncker
& Humblot, in Deutschland mit führend als Wissenschaftsverlag, hat
diese Schrift in einem schönen, broschiertem Bändchen ins Programm
genommen. Der Autor, in Chemnitz Lehrstuhlinhaber der Professur für
Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zeichnet
beispielhaft den Weg eines Philosophen und Kunstwissenschaftlers im
Widerstreit mit der Ideologie des Nationalsozialismus.
Heinrich Maria Lützeler
studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft und
wurde 1924, erst 22jährig, mit der Arbeit „Formen der Kunsterkenntnis“
promoviert. Dieses Werk erschien seinem Mentor, dem bedeutenden Kölner
Philosophen Max Scheler, mehr Wert zu haben „als ganze Folianten von
Schulästhetik“. 1930 habilitierte sich Lützeler über „Grundstile der
Kunst“, was ihm sofort eine Lehrtätigkeit in Bonn und ab 1932 einen
Lehrstuhl für das Fach „Ästhetik der Kunstphilosophie“ eintrug.
Doch ab dem 30. Januar 1933
änderte sich das Umfeld. Stufenweise nahm die Entrechtung Lützelers zu,
ständig neue Angriffe der braunen Machthaber mußte er erdulden. Schon
Ende der 1920er Jahre hatte er zu den entschiedenen Gegnern des
Nationalsozialismus gezählt, wesentliche Grundlage dafür war sein
gelebter Glaube. Zudem war er ab Geburt stark körperbehindert, was ihn
weiteren perfiden Angriffe der NS-Ideologen und ihrer Sympathisanten
aussetzte. Schrittweise wurde Lützeler seiner akademischen Rechte
beraubt, 1940 verlor er seine berufliche Stellung, ein Rede- und
Schreibverbot folgte. Seine Abschiedsvorlesung, die in Schriftform weite
Verbreitung fand, wurde zum wesentlichen Anstoß für die zur bündischen
Jugend zählende Weiße Rose in München, deren Mitglieder, allen voran die
Geschwister Hans und Sophie Scholl, Anfang 1943 durch das NS-Regime
verhaftet und hingerichtet werden sollten.
Heinrich Maria Lützeler
machte weiter, so, wie es die Umstände erlaubten. Er trat in Kontakt zum
gleichfalls verfolgten Konrad Adenauer, der ihn zunächst beriet und
später zum regelmäßigen Zuhörer der Hausabende, die Lützeler über
Probleme und Themen der Weltkunstgeschichte abhielt. Das Verhältnis der
Universität Bonn zu ihrem verfolgten Dozenten war ambivalent. Während
das Institut für Kunstgeschichte ihn aussperrte, konnte er in der
Universitätsbibliothek weitgehend unbehelligt forschen. Nach 1945 wurde
Lützeler selbstredend rehabilitiert, er lebte bis 1988.
In dem schönen Band von
Duncker & Humblot setzt Frank-Lothar Kroll erstmals die
Geschehenszusammenhänge der Verfolgung der Person Heinrich Lützeler in
Bezug zu den umfangreichen, bislang unveröffentlichten Dokumenten. Dies
ist insofern wichtig, weil die Frage nach dem Widerstandspotential
deutscher Intellektueller zwischen 1933 und 1945 derzeit in den
geisteswissenschaftlichen Disziplinen kontrovers diskutiert wird. Dieses
Buch hält konkrete Antworten dazu bereit, der Autor weist jedoch auch
weit über diesen Einzelfall hinaus und stellt Möglichkeiten und Grenzen
nonkonformen Verhaltens im Wissenschaftsbetrieb des Dritten Reichs
insgesamt dar. „Intellektueller Widerstand im Dritten Reich“ ist eine
unbedingt empfehlenswerte Studie.
Frank-Lothar Kroll: Intellektueller Widerstand im Dritten Reich – Heinrich Lützeler und der Nationalsozialismus, Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Band 51, Duncker & Humblot, Berlin 2008. Broschiert, 141 Seiten, ISBN 978-3-428-12822-8, 16,80 Euro.