Lützeler: ausgegrenzt im Dritten Reich

Von | 29. März 2010

Was der Bonner Gelehrte Heinrich Lützeler dem Nationalsozialismus entgegensetzte

Schon das Äußere eines Buches kann, wenn es gut gemacht ist, wesentliche Hinweise auf den Inhalt geben. Frank-Lothar Kroll hat hier seinen umfangreichen Forschungen zu Preußen, Europa und der Literatur eine Pretiose hinzugefügt, und Duncker & Humblot, in Deutschland mit führend als Wissenschaftsverlag, hat diese Schrift in einem schönen, broschiertem Bändchen ins Programm genommen. Der Autor, in Chemnitz Lehrstuhlinhaber der Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zeichnet beispielhaft den Weg eines Philosophen und Kunstwissenschaftlers im Widerstreit mit der Ideologie des Nationalsozialismus.

Heinrich Maria Lützeler studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft und wurde 1924, erst 22jährig, mit der Arbeit „Formen der Kunsterkenntnis“ promoviert. Dieses Werk erschien seinem Mentor, dem bedeutenden Kölner Philosophen Max Scheler, mehr Wert zu haben „als ganze Folianten von Schulästhetik“. 1930 habilitierte sich Lützeler über „Grundstile der Kunst“, was ihm sofort eine Lehrtätigkeit in Bonn und ab 1932 einen Lehrstuhl für das Fach „Ästhetik der Kunstphilosophie“ eintrug.

Doch ab dem 30. Januar 1933 änderte sich das Umfeld. Stufenweise nahm die Entrechtung Lützelers zu, ständig neue Angriffe der braunen Machthaber mußte er erdulden. Schon Ende der 1920er Jahre hatte er zu den entschiedenen Gegnern des Nationalsozialismus gezählt, wesentliche Grundlage dafür war sein gelebter Glaube. Zudem war er ab Geburt stark körperbehindert, was ihn weiteren perfiden Angriffe der NS-Ideologen und ihrer Sympathisanten aussetzte. Schrittweise wurde Lützeler seiner akademischen Rechte beraubt, 1940 verlor er seine berufliche Stellung, ein Rede- und Schreibverbot folgte. Seine Abschiedsvorlesung, die in Schriftform weite Verbreitung fand, wurde zum wesentlichen Anstoß für die zur bündischen Jugend zählende Weiße Rose in München, deren Mitglieder, allen voran die Geschwister Hans und Sophie Scholl, Anfang 1943 durch das NS-Regime verhaftet und hingerichtet werden sollten.

Heinrich Maria Lützeler machte weiter, so, wie es die Umstände erlaubten. Er trat in Kontakt zum gleichfalls verfolgten Konrad Adenauer, der ihn zunächst beriet und später zum regelmäßigen Zuhörer der Hausabende, die Lützeler über Probleme und Themen der Weltkunstgeschichte abhielt. Das Verhältnis der Universität Bonn zu ihrem verfolgten Dozenten war ambivalent. Während das Institut für Kunstgeschichte ihn aussperrte, konnte er in der Universitätsbibliothek weitgehend unbehelligt forschen. Nach 1945 wurde Lützeler selbstredend rehabilitiert, er lebte bis 1988.

In dem schönen Band von Duncker & Humblot setzt Frank-Lothar Kroll erstmals die Geschehenszusammenhänge der Verfolgung der Person Heinrich Lützeler in Bezug zu den umfangreichen, bislang unveröffentlichten Dokumenten. Dies ist insofern wichtig, weil die Frage nach dem Widerstandspotential deutscher Intellektueller zwischen 1933 und 1945 derzeit in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen kontrovers diskutiert wird. Dieses Buch hält konkrete Antworten dazu bereit, der Autor weist jedoch auch weit über diesen Einzelfall hinaus und stellt Möglichkeiten und Grenzen nonkonformen Verhaltens im Wissenschaftsbetrieb des Dritten Reichs insgesamt dar. „Intellektueller Widerstand im Dritten Reich“ ist eine unbedingt empfehlenswerte Studie.

Frank-Lothar Kroll: Intellektueller Widerstand im Dritten Reich – Heinrich Lützeler und der Nationalsozialismus, Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Band 51, Duncker & Humblot, Berlin 2008. Broschiert, 141 Seiten, ISBN 978-3-428-12822-8, 16,80 Euro.