Lange mußte die Fachwelt warten auf eine neue, gültige Biographie eines der zentralen Männer des Widerstands gegen Hitler – Peter Graf Yorck von Wartenburg Borussiae Bonn, wohl engster Mitstreiters von Hellmuth James Graf Moltke. Der Dialog zwischen Yorck und Moltke gilt als die Gründungsstunde des Kreisauer Kreises, und angesichts dieses Stichwortes waren die Erwartungen äußerst hochgespannt.
Günter Brakelmann, ausgewiesener Kreisau-Spezialist, hat sich der Yorck-Biographie angenommen und im März 2012 das Ergebnis vorgelegt. Aufgrund von Archivfunden war es ihm als Erstem möglich, eine größere Zahl von privaten Briefen auszuwerten und Yorck so aus dem Schatten seines engsten Mitverschwörers treten zu lassen. Sie lagen – von der Forschung unberücksichtigt – in verschiedenen Nachlässen, viele in der Familie Moltke. Unglaublich, aber wahr: fast sieben Jahrzehnte nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944, nach der Hinrichtung Yorcks liegt die erste vollständige Biographie dieses führenden Widerstandskämpfers vor. Stephan Hermlin hatte sich bereits im unmittelbaren Eindruck des Krieges mit seiner Erzählung „Der Lieutnant Yorck von Wartenburg“ zu Wort gemeldet, aber nicht recht überzeugt. Mit dem Buch des ausgsgewiesenen Kreisau-Spezialisten Brakelmann gewinnt Yorck neue Konturen.
Die kühnsten Erwartungen, das kann vorweg mitgeteilt werden, wurden eingehalten oder sogar übertroffen. Ausführlich beleuchtet Brakelmann die Entstehung und die Grundlagen des Widerstandszirkels, dessen ursprünglich von den Nazi-Häschern erfundene Bezeichnung „Kreisauer Kreis“ inzwischen zu einem Ehrennamen geworden ist. Mit überaus profunder Selbstverständlichkeit führt Brakelmann durch dieses so ernste Thema.
Yorck blieb viel stärker als Moltke der konservativen väterlichen Welt des preußischen Adels erbunden. Moltke, dessen mütterliche Familie in Südafrika verwurzelt war, hatte einen anderen Blickwinkel, der ihn schneller und entschiedener erkennen ließ, was der Nationalsozialismus bewirken würde. Zwar trat Yorck wie Moltke nicht der NSDAP bei, er behielt jedoch seine Tätigkeit als Verwaltungsjurist bei und bekleidete verschiedene Posten, zunächst als Andersdenkender, aber nicht im Widerstand. Die Pogrome vom November 1938 und die Besetzung Österreich und der Tschechei bewirkten dann bei Yorck die kompromißlose Ablehnung Hitlers, so vermutet Brakelmann, aber schon zuvor stand er in Kontakt mit den Verschwörern vom September 1938, und zwar sowohl mit der militärischen Seite um Hans Oster und Erwin v. Witzleben – einem Rechtsritter des Johannniterordens – als auch mit der Widerstandsgruppe im Auswärtigen Amt, zu der auch mehrere Korporierte gehörten, so der Münchner Bayer Eduard Brücklmeier und – etwas später – der Göttinger Sachse Adam v. Trott zu Solz. Yorck baute ab 1938 einen Gesprächskreis auf, der später, als er mit Moltke zusammenarbeitete, in den Kreisauer Kreis einfließen sollte, aber zu dieser Zeit noch als „Grafenkreis“ zu betiteln ist.
Klarheit, wie sie Brakelmann schafft, war bisher rar. Doch auch wenn er erstmals mit einer brauchbaren Zahl von Quellen aufwartet, so muß er manch entscheidende Information schuldig bleiben – so zum Beispiel die, wann und wie sich bei Yorck der Wandel vom Andersdenkenden zum Widerstandskämpfer vollzogen hat. Unstrittig dürfte indes sein, daß die die deutschen Verbrechen in Polen und im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion bei ihm die unbedingten Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus bestärkt haben
Ab 1940 bestand dann der Gesprächskreis, der später unter „Kreisauer Kreis“ so große Bedeutung bekommen sollte. Brakelmann konnte anhand einer großen Zahl neuer Belege anschaulich machen, daß Yorck besonders stark integrierend wirkte, denn im Widerstand sprachen Menschen sehr verschiedener sozialer Herkunft miteinander. Auch auf den wirtschaftspolitischen Teil des Kreisauer Programms nahm er großen Einfluß, er stand in Kontakt mit an den Freiburger Nationalökonomen um Adolf Lampe, Franz Böhm Rhenaniae Freiburg und Walter Eucken – Letzterer hatte das Kieler Sachsenband aus Solidarität mit seinem Bruder und Corpsbruder, der „jüdisch versippt“ war, zurückgegeben. Zusammen mit den Freiburger Kreisen strebte Yorck eine soziale Marktwirtschaft an, die die persönliche Freiheit und des Wettbewerbs mit denen der sozialen Sicherheit und der Verpflichtung des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit in Einklang bringen sollte.
Vielerorts ist Yorck nur als Mann des 20. Juli bekannt, doch das ist nicht das ganze Bild. Brakelmann zeigt in seiner Biographie einen zweifelnden, mit den Zeitläuften hadernden Mann, der zwar genau weiß, was er zu tun hat, der sich aber nicht völlig aus den Bindungen lösen kann. Im Juni 1942 wurde Yorck in den Wirtschaftsstab-Ost versetzt – eine Behörde, deren Zweck es war, eroberte Gebiete systematisch auszuplündern. Große Aufmerksamkeit widmet der Autor dem moralischen Dilemma, das mit dieser Tätigkeit verknüpft war. Doch Yorck vertritt wie so viele seiner Zeitgenossen die Meinung, daß Widerstand am ehesten von innen heraus, aus dem System heraus geleistet werden konnte. Diese Meinung teilte er mit Männern wie Kurt Gerstein, und Stauffenbergs Attentat war letztendlich eine Umsetzung dieser Haltung. Doch Yorck mußte damit selbst in die Verbrechen des Regimes verstrickt sein, wenn auch vielleicht nicht schuldhaft. Der Widerstandskämpfer war sich dieser Problematik bewußt, ein Brief an die Mutter aus dem Februar 1943 belegt dies: „Man fragt sich doch immer auch, welchen Teil der Verantwortung man selbst trägt.
Seit der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 war es an Yorck gewesen, die Arbeit des Kreisauer Kreises fortzuführen. Die Staatsstreichvorbereitungen Stauffenbergs, eines Vetters von ihm, begleitete er intensiv. Am 20. Juli wurde er in der Bendlerstraße verhaftet. Unerschrocken trat er im Prozess vom 7. und 8. August dem Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, gegenüber.
Mit seinen Arbeiten zu den Protagonisten des Kreisauer Kreises hat Günter Brakelmann einen großen Teil zur Erforschung und korrekten Bewertung des Widerstands gegen Hitler beigetragen. Dass Peter Yorck von Wartenburg seinen Platz neben Helmuth von Moltke zurecht hat – Brakelmann hat es bewiesen. Diese Biographie ist eine große Tat.