Jüdische Korporierte: Widerstand gegen akademischen Antisemitismus

Von | 27. November 2021

Am Wochenende vom 19. bis 21. November fand in Heidelberg eine gemeinsame Studentenhistorikertagung des AKSt und der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg statt. Das Thema war „Jüdische Korporierte, jüdische Kor­porationen“, die Themenvielfalt reichte von Heidelbergs jüdischen Verbindungen bis zum Korporationswesen in Czernowicz, von Theodor Herzl bis zu den paritätischen Verbindungen im Burschenbundsconvent (BC).

Herzliche Bergrüßung zur Tagung „Jüdische Korporierte, jüdische Korporationen“ in den Räumlichkeiten der HfJS: Hochschulrabbiner Shaul Friberg (re.), mit Sebastian Sigler, dem Tagungsleiter und Leiter des AKSt

Mit einem langen und warmherzigen Grußwort Seiner Magnifizenz Prof. Dr. Werner Arnold wurden die Teilnehmer begrüßt. Die Leitung lag bei Dr. Sebastian Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam, als Veranstalter fungierte der Hochschulrabbiner Shaul Friberg, Mitglied der Kalmar Nation Uppsala. Zu Beginn der Tagung wurde ein Grußwort des Heidel­berger Oberbürgermeisters Eckart Würzner Sueviae Heidelberg verlesen, überregionale Medien hatten bereits im Vorfeld berichtet.

Die einführenden Worte lagen bei Hochschulrabbiner Friberg. Er erklärte den Zusammenhang zwischen jüdischen Gemeinden und korporierten Studenten aus jüdischer Sicht und er betonte, dasss ihm die Erforschung der jüdischen Korporationen, die ja gewissermaßen ein Schnittmeng darstellen, besonders wichtig sei. Das stieß auf freudiges Interesse bei den überwiegend buntbemützt angetretenen Studentenhistorikern, denn in der Hochschule wurde Couleur getragen. Friberg selbst trug natürlich seine Kippa, und zum Abschluss seiner Ausführungen sagte er schelmisch: „Ich bin auch einer von Ihnen!“ – sprach’s und setzte sich seine Verbindungsmütze der Kalmar Nation Uppsala, die er mitgebracht hatte, auf dem Kopf: „Wer einmal Student gewesen ist, bleibt es ein Leben lang!“ Der Rabbiner ergänzte, die Fähigkeit zu kritischer Vernunft sei dem Menschen eigen, dem Studenten sei sie allemal umso mehr zu wünschen. Womit er durchaus auch zu meinen schien, dass dies auch in Zukunft durch jüdische Verbindungen geschehen könne.

Das erste große Referat der Tagung hatte Prof. Dr. Dr. Harald Lönnecker von der TU Chemnitz übernommen. Er sprach über „Demut und Stolz, Glaube und Kampfessinn – konfessionell gebundene Verbindungen: protestantische, katholische, jüdische“. Damit ordnete er die jüdischen Verbindungen, die uns Heutigen so exotisch erscheinen, als kongeniale Brüder heutiger Korporierter ein. Wie das am Beispiel Heidelbergs aussah, erklärte danach Dr. Gerhard Berger. Er referierte über Heidelberger jüdische Verbindungen, deren Bandbreite von zionistisch bis deutschnational reichte.

Großes Interesse: Abendveranstaltung der Tagung. In der ersten Reihe: Hochschulrabbiner Shaul Friberg (3. v. r.), und Seine Magnifizenz, Rektor Prof. Dr. Werner Arnold (5. v.r.)

Für den Abend waren die Tagungsteilnehmer beim Corps Suevia Heidelberg eingeladen, das einen sehr liebenswürdigen und bestens organisierten Empfang für sie ausrichtete. Höhepunkt des Abends war ein Vortrag von Dr. Jürgen Herrlein, dessen Muttercorps die aus Prag stammende Frankfurter Austria ist, über die Familie Přibram – übertitelt waren seine Worte mit „Prager jüdische Corpsstudenten und ihr Umfeld“. Versiert und genauso auch unterhaltsam waren seine Worte, beschwingt war danach ein langer Abend. Die rund 70 Gäste – wohl die Hälfte davon von der HfJS und aus jüdischen Gemeinde – waren von der Gastfreundschaft der Schwaben geradezu überwältigt.

Den ersten Vortrag am Sonnabend hielt Lukas Stadler, ein Heidelberger Armine, über das Wirken des bedeutenden Zionisten Theodor Herzl. Er fragte, ob die Baseler Zionistenkongresse – sie bildeten die geistige Grundlage der Gründung Israels – als studentenhistorische Ereignisse aufzufassen sind, und belegte überzeugend, dass davon auszugehen ist. Dr. Norbert Giovannini, in Heidelberg und darüber hinaus ein gefragter Dozent, Pädagoge und Historiker, sprach über jüdische Studenten in Heidelberg nach 1933 – ein ernster, ja, erschütternder Befund, gerade auch für die Ohren von Studentenhistorikern. Die Tonart wechselte sodann. Prof. Dr. Roland Girtler aus Wien rundete in seiner unnachahmlichen Art den Vormittag mit einem launigen, aber fachlich großartigen Vortrag über den bedeutenden Anthropologen Franz Boas ab, er stellte diesen „als Burschenschafter, Wissenschaftler und Weltbürger“ vor. Ein fast ebenso versierter Weltbürger aber war in diesem Falle der Referent selbst – Girtler, der das Band des Corps Symposion in Wien trägt, ist nicht zuletzt durch seine legendären, weltweiten „Erkundungen“ eine Berühmtheit auf dem Gebiet der Soziologie. Obwohl er das achte Lebensjahrzehnt bereits vollendet hat, publiziert er regelmäßig seine Kolumnen in überregionalen österreichischen Zeitung und gibt Bücher heraus.

Nachmittags wurden die Teilnehmer durch das jüdisch-akademische Heidelberg geführt, auch zu dem Lokal, in dem die zionistische Verbindung Ivria zu tagen pflegte: Fast meinten die Teilnehmer sie fröhlich auf der Straße beim Gruppenbild zu sehen, die alten Ivrianer, wie vor 100 Jahren. doch sie sind verschwunden. Besichtigt wurde auch der Platz der Alten Synagoge, der tags drauf Schauplatz einer denkwürdigen religiösen zeremonie zum Andenken an die jüdischen Korporierten werden sollte. Die Führung hielt dankenswerterweise der in Heidelberg als Pädagoge und Historiker mit lokalem Bezug sehr geschätzte Dr. Norbert Giovannini.

Meilenstein: Gedenkveranstaltung des AKSt mit Hochschulrabbiner Shaul Friberg für die verfolgten und ermordeten jüdischen Korporierten.

Bei dem anschließenden Kaffee im Hause des Corps Thuringia Heidelberg hielt Dr. Gerd Mohnfeld von der vertagten Burschenbunds-Verbindung Alsatia-Thuriniga Marburg einen berührenden Vortrag über  paritätischen Verbindungen und das bisherige – und wohl endgültige – Ende ihres Aktivenbetriebs. BC-Verbindungen wie diese sind dabei Vorbilder: Sie behielten das Toleranzprinzip, insbesondere auf religiöser Ebene, auch dann noch unverändert und vorbildlich bei, als sich alle anderen Dachverbände – außer natürlich den jüdischen – bereits selbst ihre unseligen „Arierparagraphen“ hatten. Auch die Corpsverbände.

Nach Einbruch der Dunkelheit wurde von Rabbi Shaul Friberg die Hawdala, das Ende des Schabbat, mit Kerzenschein und einem kleinen Schluck Wein gefeiert. Rabbi Friberg reichte die Besamimbüchse mit den Gewürzen herum, und die Anwesenden konnten die aromatischen Gewürze einatmen. Ein erfrischender, blebender Moment des Innehaltens.

Dann sprach Prof. Raimund Lang über den Schöpfer des Liedes „Ich habe mein Herz in Heidelberg verloren“, Fritz Löhner-Beda, der ebenso wie seine Familie grausamst ermordet wurde. Löhner-Beda, zugleich der begnadete Librettist von Operetten wie „Das Land des Lächelns“, wurde von KZ-Wächtern in Auschwitz buchstäblich zu Tode getreten. Dieser Vortrag war derart fordernd, dass eine Pause nötig wurde. Dr. Gregor Gatscher-Riedl folgte mit seinem Vortrag über jüdische Farbstudenten und Politik am Beispiel der Universität Czernowitz und ihrer jüdischen Verbindungen. Es folgte das Referat von PD Dr. Axel Bernd Kunze über den Bamberger Widerstandskämpfer Willy Aron und seinen Weg von Würzburg, wo er bei der BC-Verbindung Wirceburgia aktiv war, nach Dachau, wo er ermordet wurde. Den Abend beschloss Dr. Herwig Hofbauer mit seinen Erinnerungen an den österreichischen Ingenieur und Studentenhistoriker Fritz Roubicek, der neben der J.A.V Unitas Wien auch dem liberalen Corps Marchia Wien angehörte und der zur NS-Zeit als Kämpfer der Résistance den deutschen Behörden ausgeliefert und nach Auschwitz deportiert wurde. Roubicek überlebte als einziger seiner Familie die Shoa und blieb trotz seines Schicksals zeitlebens ein begeisterter Korporierter.

Rund 100 Menschen hatten sich Gedenkveranstaltung versammelt, zum weit überwiegenden Teil Korporierte aus ganz unterschiedlichen Dachverbänden.

Am Sonntag um 12 Uhr versammelten sich die Tagungsteilnehmer unter starkem Polizeischutz an der Großen Mantelgasse auf dem Platz, auf dem die Heidelberger Synagoge stand, bis sie in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von National­sozialisten und deren willigen Mitläufern zerstört wurde. Viele weitere junge und alte Verbindungsstudenten und -studentinnen jeglicher Couleur hatten ebenfalls sich eingefunden, um der Opfer der unbegreiflichen Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten der Nazi-Zeit zu gedenken. Darüber wird auf der Webseite des AKSt in einem eigenen Beitrag berichtet. Hier ein Textauszug: Dann sang Rabbi Shaul Friberg das El male rachamim. Das ist hebräisch, es bedeutet „Gott voller Erbarmen“. In Europa sind verschiedene Versionen dieses Gebetes überliefert, das Juden seit dem Mittelalter zum Andenken an die Opfer von Pogromen und Kriegen und zur Anrufung Gottes nutzen. Der jüdische Kantor Shlomo Katz trug 1950 auf dem 22. Zionistenkongress in Basel eine neue Version vor. In den traditionellen Text hatte er die Namen der Vernichtungslager Auschwitz, Majdanek und Treblinka auf­ge­nom­men. An dieser Version orientierte sich Rabbiner Shaul Friberg.

Nach diesem El male rachamim dauerte es lange, bis die Teilnehmenden ihre Fassung wieder­er­lang­ten, bis der Alltag zurückkehren konnte. Was bkeibt, ist die Dankbarkeit für dieses Zeichen seitens des Arbeitskreises und die Hoffnung, in die Zukunft hineinzuwirken.

Wilson-Zwilling Franconiae München, Frankconiae-Jena zu Regensburg,
Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam