Gold auf gelb – das muß man können. Suevia kann. Golden geprägt sind Buchtitel und Schwabenzirkel auf dem gelben Buch, das sich die Heidelberger Schwaben zu ihrem 200. Stiftungsfest gaben: „Corps Suevia zu Heidelberg 1810 bis 2010 – Beiträge zur Geschichte des Corps und zur Zeitgeschichte aus der Feder Heidelberger Schwaben“, herausgegeben vom Verein der Alten Herren der Suevia Heidelberg.
Freitag, 22. Oktober 2010
Am
Beginn des schönen, sorgfältig gearbeiteten, in Leinen geschlagenen und
– wie erwähnt – knallgelben Buches steht eine gründliche, saubere
Einleitung der namentlich verantwortlich zeichnenden Herausgeber Danco
III EM, Heinz und Peipers EM. Diese Einleitung nimmt nichts vorweg, also
vor allem nicht die – berechtigte – Neugier auf die weitere Lektüre.
Der erste Beitrag, Gaebke
hat ihn verfaßt, behandelt die Gründung des Corps, die eigentlich eine
Wiedergründung der Suevia von 1805 mit leicht veränderten Farben war.
Zum Zeitpunkt dieses Wiederauftuns Ende März 1810 war ein Pistolenduell
mit tödlichem Verlauf zwischen den alten Guestphalen und den Curonen die
Nachricht des Tages, behördliche Untersuchungen und Verhaftungen waren
die Folge. Dieses Einzelereignis ist deswegen bedeutungsvoll, weil sich
nun alle Heidelberger Landsmannschaften aus Gründen der Tarnung und in
naheliegender Übernahme französischer Namensgebung als „Corps“
bezeichneten. Erstmals taucht diese Bezeichnung hier auf. Und nachdem
von den Corps, die sich 1810 so nannten, nur Suevia durch alle
Zeitläufte Bestand hatte und hat, weist dieses Corps weist mit Recht
darauf hin, auf die älteste so lautende Tradition zurückzublicken. Doch
die 200 Jahre alte Heidelberger Suevia tut das nur beiläufig, mit
bescheidener Noblesse.
Sehr umfassend stellt
Gaebke die Gegebenheiten dar, die zur Gründungszeit herrschten und die
so ursächlich für die Ausbildung mancher Tradition waren. Die
Entwicklung des Couleur, des Fechtcomments und der Kneipkultur sind
umfassend behandelt. Der Autor hat auch kein Problem damit, in
abschließenden Sätzen den Blick über den Gartenzaun schweifen zu lassen
hin zu den Burschenschaften, zur radikal-demokratischen Tradition, zum
Hambacher Fest. Das darf von einem qualitativ anspruchsvollen Buch
erwartet werden, aber es zeugt auch von Größe.
Für den zweiten Beitrag zeichnet Würzner I EM verantwortlich. Ausführlich und an prominenter
Stelle bedenkt er Kartelle, Be-freundeten und Vorstellungsverhältnisse.
Das ist mehr als nur eine Geste der Heidel-berger Schwaben, die die
Verwurzelung dieses Corps in seinem Kösener Dach-verband aufzeigt. Hier
wird vielmehr eine Verbindlichkeit im Verband dargestellt, und es wird
deutlich, daß derartige Ver-bindlichkeit dieses Corps auch in seinem
Inneren prägt, zusammenhält und stark macht. Wer die Gastfreundschaft
der Hei-delberger Schwaben genießt, wird erleben, was der Verfasser
dieser Zeilen, obschon einem kreisfreien Corps angehörig, meint.
Beitrag drei, Pfeiffer hat
ihn verfaßt, beschreibt die Ereignissen rund um die Revolution von 1848
und den Folgen dieses Ereignisses. Nach Art einer hübschen Stilblüte ist
gleich zu Beginn über Napoleon zu erfahren: „Er heiratete die Tochter
des Kaisers von Österreich, hatte zuvor 1809 bei Aspach eine erste
Niederlage erlitten.“ Natürlich legt, wer gewisse Erfahrungen im Leben
gemacht, die Betonung auf das Wort „erste“. Die Heirat mit der
Österreicherin also als „zweite“ Niederlage? Und es darf weiterhin
geschmunzelt werden. Der Kapp-Putsch, das erfahren wir beiläufig, war
quasi eine innere Corpsangelegenheit der Heidelberger Schwaben, denn v.
Kapp II löste diesen Aufstand aus und gab ihm den Namen, sein
Corpsbruder Rauscher, zu eben jener Zeit Reichspressechef und
Ministerialdirektor, setzte das Signal zum Zusammenbruch des Putsches,
indem er den Generalstreik ausrief.
Der quasi corpsintern
ausgetragene Kapp-Putsch ist quasi ein Vorgriff auf Beitrag vier, für
den Danco III zeichnet. Nur zwei Jahre vor diesem Putschversuch hatte
der Heidelberger Schwabe Prinz Max v. Baden die Abdankung Kaiser
Wilhelms II. verkündet, ohne das die Frage geklärt gewesen wäre, ob er
dazu auch ermächtigt war. Dem Verhältnis der Schwaben zu den weißen
Corps wird das kaum gutgetan haben, aber Aufschlüsse wie diese würzen
die Lektüre. Im diesem vierten Abschnitt verwirrt im übrigen zunächst
ein Rückgriff auf die Gründungszeit des Corps. Dieser kleine Ausflug,
gebündelt in einigen Zitaten, erweist sich dann aber als hilfreich bei
der Einordnung der Geschichte der Heidelberger Schwaben in den Kontext
der wilhelminischen Epoche. Die enorm staatstragende und
quasi-militärische Attitüde jener Jahre war hier, im Corps, offenbar
immer durch eine sprichwörtliche badische Liberalität abgefedert – das
zieht der Leser als Summe aus einer knappen, aber treffend gewählten
Auswahl von Redeausschnitten.
Mit Beitrag fünf beginnt
die überaus wichtige, schonungslose und dennoch die Ehre des Corps und
die Würde der handelnden Akteure des nie außer Acht lassende Abschnitt
über die Zeit der NS-Diktatur, der von Seiten 71 bis Seite 199 reicht.
Roessler EM, Danco III EM und der AHV-Vorsitzende sind die Verfasser.
Sie zeigen, und das ist äußerst verdienstvoll, die durchgehende Linie
auf, die vom Ende des Ersten Weltkriegs und dem aufflammenden
Antisemitismus bis in das Dritte Reich, die politische Gleichschaltung,
in den Unrechtsstaat führte und in die Suevia verstrickt war. Kaum ein
großes, altes Corps wird davon verschont geblieben sein. Diese
Verstrickung endete für Suevia im übrigen damit, daß das Corps sehr bald
selbst – wie fast alle Verbindungen – verboten wurde. Die falschen
Götter, denen mancher vertraut hatte, forderten alsbald Opfer. Sehr
viele Opfer. Diese Lehre ziehen die Heidelberger Schwaben ohne
Beschönigung, aber auch in dem Bewußtsein, ein Puzzlestück in einem
gesellschaftlichen Mehrheitskontext gewesen zu sein.
Der Inhalt dieses fünften
Beitrages ist bemerkenswert. Der Arierparagraph wird zutreffend als
erster Sündenfall benannt, aber es wird auch klar, daß – anders als
andere Dachverbände, namentlich die Deutsche Burschenschaft – die
Kösener und mit ihnen Suevia in der Mehrzahl der anstehenden Fragen den
geschworenen Eiden treu blieben. In sehr großem Umfang wird die
Wippermannsche Forschung bestätigt, die dieser 2007 in seinem Buch
„Unser Corps im Dritten Reich“ vorgelegt hat.
Sieben jüdische oder – in
der unsäglichen Diktion jener Jahre – jüdisch versippte Corpsbrüder
hatte Suevia. Am Ende, nach vielen Kämpfen, opferte Suevia zunächst
einen, dann die übrigen dieser Corpsbrüder. Zugleich verzichtete man
darauf, das Corps zu suspendieren. Auf Seite 98 formulieren Danco III
und Roessler: „Es ist bemerkenswert, mit welchem Gleichmut diese
nationalsozialistischen Forderung erfüllt wurde und dass es nicht bei
Alt und Jung größte Bedenken gegeben hatte!“ Suevia Heidelberg hat die
innere Kraft, dies ohne Beschönigung auszusprechen. Auch, daß die in
Heidelberg benachbarten Vandalia anders handelte, als es noch Zeit dafür
war, und daß später mit Saxo-Borussia großer Zwist wegen der Haltung
gegenüber der NS-Ideologie entstand, wird unprätentiös dargestellt.
Beitrag sechs, verfaßt vom
Altherrenvorsitzenden Heinz, er komplettiert den Abschnitt über die Zeit
des Dritten Reichs, ist eine enorm umfangreiche Quellensammlung, die
die Verlautbarungen von 1933 an ebenso dokumentiert wie manche
Diskussionen der Nachkriegszeit, darunter auch die erst 1959
abgeschlossene Wiederaufnahme von Schleyer I EM, der das Schwabenband
1935 als CB niedergelegt hatte. Als Ganzes gesehen ist die Art, in der
Suevia mit der eigenen Geschichte im Bezug auf das Dritte Reich umgeht,
vorbildlich und mustergültig. Exemplarisch sei folgender Satz zitiert:
„Dennoch bleibt festzustellen, dass es dem nationalsozialistischen
System gelungen war, die Corps und andere Verbindungen, mithin auch
Suevia, dreimal zu korrumpieren: Erstens mit der Akzeptanz der
Gleichschaltung (Abschaffung des Demokratieprinzips, Einführung des
Führerprinzips, Einführung des Arierprinzips), zweitens mit der
Entfernung der nichtarischen Corpsbrüder und der arischen Corpsbrüder
mit nichtarischen Ehefrauen aus dem Corps, und drittens mit der
Übernahme der Finanzierung des Kameradschaftskonzepts des
Nationalsoziali-stischen Deutschen Studentenbundes.“
Die nun folgenden Beiträge
des insgesamt 354 Seiten starken Buches beinhalten wichtige Reden der
letzten Jahrzehnte. Von 1970 – in direkter Reaktion auf die
1968er-Unruhen – bis hin zur Rede an der Kneipe anläßlich des 199.
Stiftungstages spannt sich der Bogen. Hervorzuheben eine Rede von
Schleyer I, in der die Grundlagen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft
in Bezug zueinander gesetzt werden. Der Abdruck dieser Gedanken ist vor
allem ein Zeichen an den von Terroristen ermordeten
Arbeitgeberpräsidenten und Heidelberger Schwaben, denn sein Leben von
der Verstrickung in die NS-Ideologie bin hin zu seinen Leistungen für
das demokratische Gemeinwesen der Nachkriegszeit und zur Förderung
seines Corps spiegelt das 20. Jahrhundert. Vielleicht etwas zu trocken
geraten sind die Beiträge zum Projekt „Suevia 2000“ und zur
Nachwuchsgewinnung. Viele gute Gedanken finden sich hier, mancherlei
Maßnahmen werden angeregt, doch letztendlich sind diese Beiträge wie so
viele dieser Art eben, nun ja, gute Gedanken. Häufiger geht doch mit dem
schönen „in vino veritas“ – auch: „in Oetti veritas“ – der Erfolg in
der Gewinnung von Füchsen einher, wie die Praxis lehrt.
Zum Layout des äußerlich
sehr schönen Buches ist anzumerken, daß bei der Gestaltung der Texte auf
Desktop-publishing-Programme offenbar verzichtet wurde. Die
Grundspielarten eines bekannten Wort-Erfassungsprogramms einer noch
bekannteren Softwarefirma prägen das Bild. Die Behandlung graphischer
Elemente, speziell von Untertiteln, ist uneinheitlich. Das fällt
insbesondere beim großen, so wichtigen und quasi vollständig durch
Quellenmaterial geprägten sechsten Beitrag auf. Nummerierungen,
Untertitel in arabischen Ziffern und in Buchstaben, nach etwas
unüberschaubaren Kriterien teils fett, dann wieder kursiv gesetzt –
alles kommt vor. Klare Regeln hätten die Lektüre der hochinteressanten
Dokumente erleichtert. Doch darf klar gesagt werden, daß dies die
inhaltliche Bedeutung dieses Beitrags mitnichten schmälert. Die
Festschrift der Heidelberger Schwaben zum 200. Stiftungsfest ist ein
bedeutendes Werk und wird es bleiben. Der Inhalt hat Gewicht und
Relevanz.
Zusammenfassend läßt sich testieren: Die Autoren von „Corps Suevia zu Heidelberg 1810 – 2010“ wahren ausnahmslos mit ruhiger Selbstverständlichkeit eine vorbildliche Objektivität, praktizieren rückhaltlose Offenheit, zeigen eben dadurch Integrität und erweisen Ihrem Corps große Ehre. Dieses Buch ist von Bedeutung für alle, die sich mit der Studentengeschichte befassen. Die sehr faktenreiche Darstellung der Vorgänge unter dem Druck der NS-Diktatur ist als Kompendium von Bedeutung weit über diese Spezialdisziplin der Geschichtswissenschaft hinaus. Gerade in diesem Abschnitt zeigt Suevia als Corps beachtliche Größe. Diese Festschrift hat es verdient, von vielen Lesern und von der Historikerzunft erkannt und bedacht zu werden, auch wenn die Heidelberger Schwaben auf den Versandweg über den Buchhandel verzichtet haben. Zu wünschen wäre, daß „Corps Suevia zu Heidelberg 1810 – 2010“ in einer geschichtswissenschaftlichen Reihe Aufnahme fände, in Bibliotheken zugänglich gemacht und für Interessierte bestellbar würde. Denn dies ist ein wichtiges Buch.