Ein konservativer Kämpfer – der NS-Gegner Hansjoachim von Rohr

Von | 11. April 2018

Die jüngst vorgelegte Biographie über Hansjoachim v. Rohr – sein Sohn Hans Christoph hat sie verfaßt – ist eine zurückhaltende, feine, klare und objektive Arbeit, das sei vorab gesagt. Doch das ist bei weitem nicht alles. Der Autor gibt anhand der Zeitläufte, die er behandelt, dem Leser Möglichkeiten zur Bewertung großer Teile des 20. Jahrhunderts aus ihrem jeweiligen Zeithorizont heraus. Das macht dieses Buch zu einer historisch relevanten Studie.

Freitag, 11. Februar 2011

Die 2011 erschienene Biographie für den Widerstandskämpfer Hansjoachim v. Rohr

Wer in den 1920er Jahren politisch konservativ dachte, war ein geborener Gegner der NS-Ideologie. Die Mär, daß am rechten politischen Rand der nahtlose Weg von erzkonsevativ über nationalistisch hin zur einstigen NSDAP und heute – vielleicht – zur NPD ginge, wird in diesem Buch gründlich widerlegt. Die NS-Ideologie war vielmehr zunächst und zuerst sozialistisch und übersteigerte sich erst unter Hinzufügung von Rassenwahn und Arierdünkel, durchaus sozialistisch bleibend, sehr bald zu einer unmenschlichen Mordmaschinerie.

Vater und Sohn v. Rohr waren beziehungsweise sind Heidelberger Sachsenpreußen. Dies ist eine Biographie, in der man wohl erkennt, daß hier der Sohn über den Vater und der Corpsbruder über einen Corpsbruder schreibt. Besondere Beachtung verdient daher die Frage, ob die Objektivität gewahrt wurde – und sie kann nur dann, wenn die Fakten exakt und sauber bearbeitet werden, darüber erhalten bleiben. Die Lektüre erweist: hier geht sie nicht verloren. Chapeau! Und eben, weil diese Objektivität gewahrt worden ist, kann sich auch der Leser auf eine Metaebene zurückziehen und die Bewertung der wahrlich spannenden und an Gefahren reichen Zeiten in ihrem Kontext aus diesem Buch extrahieren.

Rohr, Staatssekretär im Reichslandwirtschaftsministerium, arbeitete strikt nach fachlichen Kriterien, und er leistete von Anfang an entschiedenen Widerstand gegen die NSDAP. Dennoch – oder gerade deswegen – verdankt ihm die Reichsregierung unter Hitler im Jahre 1933 einen exzellenten Start auf dem Gebiet der Landwirtschaft. Es lohnt sich, nachzulesen: v. Rohrs „Fettplan“ war schlichtweg genial. Nachdem er aber als erklärter NS-Gegner bekannt war, wurde der aus altem pommerschem Adel stammende Staatssekretär alsbald aus dem Amt gedrängt und sah sich ab 1934 wachsender Verfolgung ausgesetzt, die stetig wuchs, ihn und seiner Familie in manche Gefahr brachte und ab dem 21. Juli 1944 in Gestapo-Haft in Potsdam gipfelte, obschon v. Rohr mit dem Attentatsplänen vom 20. Juli nicht befaßt persönlich war. Aber er hatte durchaus gute Kontakte in den Widerstand, nicht zuletzt über einige Corpsbrüder – das genügte. Da er seit 1934 auf der „Todesliste“ der NSDAP stand, wäre er ein „gefährlicher“ Verbündeter für die Attentäter um Stauffenberg gewesen – der NS-Justizminister urteilte über ihn: „Er stellt ein Programm dar. Männer seines Schlages sind gefährlicher als Kommunisten.“ Durchaus erkennbar ist die Parallele zu anderen Heidelberger Sachsenpreußen.

Hansjoachim v. Rohr hat das Dritte Reich überlebt. Zeit, sich zu besinnen, blieb jedoch nicht. Schon 1947 kämpfte er darum, in den Westzonen ein freies Spiel der Marktkräfte zuzulassen, zunächst übrigens noch gegen die Bedenken der alliierten Kommissare. Von deutscher Seite wollte Schlange-Schöningen, übrigens Heidelberger Guestphale, starke und immer stärkere Kontrollen; er forderte schließlich planwirtschaftliche Strukturen, bevor unter Adenauer die Erhard’sche Marktwirtschaft obsiegte. Sicherlich hat v. Rohr, seit 1950 für die FDP im nordrhein-westfälischen Landtag, dazu seinen Teil beigetragen. Gerade die Passage der unmittelbaren Nachkriegszeit hat der Autor – und Sohn – sehr schön nachgezeichnet. Sie illustriert, wie wenig von dem, was die Bundesrepublik ab 1949 ausmachte, eine Selbstverständlichkeit war. Wie sich das Duell um den freien Agrarmarkt zutrug und wie v. Rohr, der Mann, der schon Hitler die Stirn geboten hatte, dann durch seinen erfolgreichen Widerstand gegen planwirtschaftliche Strukturen die Agrarpolitik der Bundesrepublik wesentlich prägte – die Lektüre lohnt, es kann nur wiederholt werden.

Ebenso interessant ist es, nachzulesen, was v. Rohr für die konservative Presselandschaft im Nachkriegsdeutschland getan hat. Nach der Korrumpierung durch den Nationalsozialismus hatten gerade dezidiert konservative Meinungen keine wirkliche politische Heimstatt in der Bundesrepublik, obwohl doch das sozialistische Element der Hitler-Ideologie so stark gewesen war und obwohl doch Konservative – gerade die Heidelberger Sachsenpreußen gehörten dazu – sich heftigster Angriffe durch die Nazis am Ende schlichtweg nicht mehr erwehren konnten.

1953 wurde v. Rohr durch den neuen Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke abgelöst; die in diesem Zusammenhang vom Autor gemachten Bemerkungen sind auch heute noch sehr aktuell – die Agrarpolitik der Europäischen Union ist von Konzept her bereits sechzig Jahre alt, wie der Leser lernt. Hier ist es Manchem dann auch möglich, nachzuvollziehen, wie wertvoll die distanzierten und informativen Schilderungen sind – dann, wenn es um Vorgänge aus der Bundesrepublik geht, die anhand der ureigenen Erinnerung nachprüfbar sind. Der Handlungsrahmen spannt sich bis zu einer Diskussion um die Oder-Neiße-Frage im Jahre 1961 – in der im übrigen v. Rohr die Unabänderlichkeit des Verlustes klar thematisierte, womit er einmal mehr als Vordenker gelten kann. Fast schon drängt sich der Eindruck auf, hier sei bereits Ostpolitik der 1970er Jahre inhaltlich vorausgedacht worden. Unbeschadet dessen gehörte v. Rohr 1969 zu den Mitbegründer der Zeitschrift „Konservativ – heute“.

Der Stuttgarter Hohenheim-Verlag ist zu loben. Die Machart des Buches ist solide, seine Haptik ist ausgezeichnet. Das  Layout ist wohltuend schlicht. Bei der Schrifttype ist – minimal der Abzug beim optischen Eindruck – eine auf Computern sehr übliche Schrift genommen worden; eine andere Schrifttype hätte dem Werk, das nur wenige Bilder enthält, durchaus gutgetan. Das sind bei genauer Betrachtung natürlich Kleinigkeiten, und so steht das Urteil fest: äußerst lesenswert!

Hans Christoph v. Rohr, „Ein konservativer Kämpfer. Der Agrarpolitiker Hansjoachim v. Rohr“, gebunden, 164 Seiten, Schutzumschlag; Stuttgart und Leipzig 2010, ISBN 978-3-89850-206-1; 16,90 Euro