Ein Freund der Juden: der Widerstandskämpfer Carl Friedrich Goerdeler

Von | 9. September 2018

Des Stauffenberg-Biograph Professor Peter Hoffmann hat eine bahnbrechende neue Studie über Carl Friedrich Goerdeler vorgelegt.

Unmißverständliche Klarstellung: Goerdeler war ein Freund seiner jüdischen Mibürger

Goerdeler, der wohl profilierteste Vertreter des zivilen Widerstands gegen Hitler, wurde am 2. Februar 1945 wegen seines Widerstands gegen das Regime der Nationalsozialisten gehängt.  Er hatte als Oberbürgermeister von Leipzig, in diesem Amt von 1930 bis 1937, und als Reichskommissar für die Preisbildung in den Jahren 1932 und dann nochmals 1934 bis 1935 versucht, die Regierungspolitik zu beeinflußen. Goerdeler nutzte seine Positionen vor allem zu immer neuen Versuchen, das Regime zu einer Änderung der Judenpolitik zu bewegen. Ab 1937 war er Berater der Firma Robert Bosch, und hier war er in ein Netzwerk eingebunden, aus dem sich viel Widerstand gegen Hitler rekrutieren sollte. Hier fand er ein Umfeld, in dem er auch Studienfreunde aus Tübingen wiedertraf. Goerdeler war Mitglied der Turnerschaft Eberhardina Tübingen.

Seit 1938 war Goerdeler ziviler Führer und bald auch Kanzlerkandidat der Verschwörung gegen Hitler. 1941 formulierte er in einer Denkschrift Vorstellungen über eine Neuordnung der Stellung der Juden in der Welt. Einige Historiker versuchten Goerdeler deshalb zu einem „dissimilatorischen Antisemiten“ abzustempeln, der die deutschen Juden habe ausbürgern wollen. Die Wahrheit ist anders. Das zeigt der im kanadischen Montreal lehrende, überaus renommierte Historiker Peter Hoffmann.

Auf der Grundlage neu ermittelter und analysierter Quellen zeigt Hoffmann Goerdelers unablässiges Bemühen um den Schutz der Juden vor Verfolgung, Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit und Ermordung. Niemand anderer als Goerdeler drängte als einziger der Widerstandskämpfer jahrelang das Regime, die Verfolgung der Juden zu beenden. Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Eine zentrale Persönlichkeit der bürgerlichen Opposition und der Umsturzbewegung gegen den Nationalsozialismus erfährt durch Peter Hoffmann eine neue Bewertung und Würdigung. Der deutsche Widerstand erscheint in neuem, in hellerem Licht. Der Böhlau-Verlag hat ganze Arbeit geleistet – dieses epochale Werk über einen der wichtigsten Kämpfer gegen das NS-System ist in schöner und würdiger Aufmachung erschienen, es kostet 39,90 Euro. Das überaus vielsagende Titelbild zeigt Goerdeler neben Hitler während einer Denkmalseinweihung – die Mienen sprechen Bände

Auf dem Weg zum Todesurteil: Carl-Friedrich Goerdeler

Die Angaben in den vorangegangenen Zeilen sind einem Text des Verlages für die aktuelle Ausgabe 2013 in deutsch entlehnt; nebenstehend ein Bild Goerdelers, während seines Prozesses vor dem Volksgerichtshof aufgenommen. Im übrigen erschien dieses Buch bereits 2011 in englischer Sprache. Der folgende Text der Autorin Gina Thomas, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 12. November 2011 brachte, bezieht sich auf die Erstausgabe dieser enorm wichtigen Monographie:

Peter Hoffmann rehabilitiert den bedeutenden Mann des Widerstands

Peter Hoffmann ist William Kingsford Professor of History an der McGill University in Montreal, Kanada und einer der führenden Forscher zum deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Von ihm stammt unter anderem die gültige, ja, eine epochale Stauffenberg-Biographie.

Wenn ein solch gestandener Historiker und Kenner der deutschen Widerstandsbewegung ein Buch schreibt über eine derart heikle Frage wie Carl Friedrich Goerdelers Einstellung zur „Judenfrage“, würde man meinen, dass dies in Deutschland auf lebhaftes Echo träfe. Umso mehr, als es um den führenden Kopf der bürgerlichen Opposition eine lange Kontroverse gab. In seiner umstrittenen Denkschrift „Das Ziel“ hatte Goerdeler Vorstellungen über eine gesetzliche Regelung der „Judenfrage“ formuliert, die ihm sogar den Vorwurf des Antisemitismus einbrachten – von Historikern wie Christof Dipper und Hans Mommsen.

Mit seiner Studie „Carl Goerdeler and the Jewish Question 1933-42“, im Juli bei der Cambridge University Press erschienen, tritt Peter Hoffmann insbesondere der Darstellung von Goerdelers politischem Denken entgegen, die Dipper 1983 in seinem Habilitationsvortrag „Der Deutsche Widerstand und die Juden“ formuliert hatte. Im Deutschen Historischen Institut in London hat Hoffmann nun die Befunde seiner Forschungen in einem Vortrag zusammengefasst, nüchtern, bündig und ohne jeden Zweifel zu lassen an seiner Kritik der Goerdeler-Kritik. An die Notwendigkeit erinnernd, die Äußerungen und Schriften in den Kontext der Zeit und der Umstände zu stellen, statt sie aus der Sicht von heute zu betrachten, schilderte Hoffmann die persönlichen Umstände, die Goerdelers Einstellung prägten: zum einen die ostpreußische Herkunft, die ihn überzeugte, dass Deutschland wieder aufrüsten müsse, um den polnischen Korridor zurückzugewinnen und die deutsche Ostfrage zu bereinigen; zum anderen die von Polen verübten Greueltaten gegen die Juden, die er im Ersten Weltkrieg an der Ostfront erlebt hatte.

Hoffmann sieht in Goerdelers Schriften und Handlungen drei Etappen. Da ist zunächst der Oberbürgermeister von Leipzig, der sich gegen die Verfolgung der Juden einsetzte. Dabei geriet er wiederholt mit seinem nationalsozialistischen Stellvertreter Rudolf Haake aneinander, dessen Befehl, das Denkmal von Felix Mendelssohn Bartholdy abzureißen, Goerdeler denn auch zum Rücktritt veranlasste. Danach habe er versucht, seine Position zu nutzen, um das Regime zu einer Änderung der Judenpolitik zu bewegen. Sein Argument: Die wirtschaftliche Kooperation des Auslandes hänge von einer humanitären Behandlung der jüdischen Bevölkerung ab.

Später dann habe Goerdeler sich bemüht, auf die britische Regierung einzuwirken. Sie solle Druck ausüben und damit einen Regimewechsel fördern. Er stieß mit solchen Gedanken auf dieselbe erschütternde Gleichgültigkeit wie Adam von Trott zu Solz. Schließlich sei er für eine internationale Lösung eingetreten, die er in der erwähnten Denkschrift „Das Ziel“ erläuterte. Hoffmann, der an einer erweiterten deutschen Fassung seines Buches arbeitet, legte dar, dass Goerdelers Ruf nach Mäßigung etwa in der Frage der Zwangsemigration keineswegs als grundsätzliche Zustimmung dieser Politik zu werten sei, und hob Goerdeler als die einzige nationalkonservative Figur der Widerstandsbewegung hervor, die konsequent versucht habe, die Juden zu schützen.“