Montag, 27. Februar 2012
Stefan Rebenich und Gisa Franke haben sich der Aufgabe unterzogen, den Briefwechsel der beiden bedeutenden Männer sorgfältig und nach allen Regeln der Kunst zu dokumentieren. Rebenich ist ordentlicher Professor für Alte Geschichte und für die Rezeptionsgeschichte des Altertums an der Universität Bern, Franke ist Archivarin im Archiv der Hansestadt Rostock.
Ein großer Band, der unter anderem dem einflußreichen preußischen Spitzenbeamten Friedrich Althoff gewidmet ist. Niemand geringeres als der berühmte Althistoriker Theodor Mommsen war Althoffs ständiger Gesprächspartner, mit ihm tauschte er Briefe und Billets wie unsereins heutzutage E-Mails. Doch Althoff, bei Saxonia Bonn 1857 rezipiert, ist als zentraler Stichwortgeber und Entscheider der Kultur-, Wissenschafts-, Universitäts- und Bildungspolitik des wilhelminischen Deutschen Reichs bis heute nur Kennern der Materie ein Begriff.
Die
Art der Korrespondenz zwischen Mommsen und Althoff läßt erkennen, warum
die Zeitgenossen im gesamten preußischen Kultusministerium ein „System
Althoff“ verorteten, obwohl doch Althoff nie Minister und ebensowenig
Staatssekretär war. Das Geheimnis dieses „Systems“ war schlicht –
Kommunikation. Althoff schrieb fast keine wissenschaftliche Texte, wenn
er in Berlin seine Fäden zog, sondern dirigierte über eine immense Zahl
von Billets und Gesprächen die Politik des Ministeriums; in Auszeiten
dagegen war er eher produktiv, was derartige Schriften betrifft. Dies
alles illustriert deutlich, wie Althoff arbeitete – er kommunizierte und
beschaffte sich ständig Wissen über Sachverhalte und Personen.
Berufungen von Professoren empfahl Althoff seinerseits selten, ohne
vorher Rat eingeholt zu haben – in sehr vielen Fällen den des Nestors
der deutschen Altertumskunde, Theodor Mommsen. Genauso oft verhinderte
der umtriebige Spitzenbeamte im Kultusministerium übrigens Berufungen,
weswegen er mancherorts gefürchtet war. Auch sehr aktuelle Dinge, wie
etwa das heute „fundraising“ genannte Einwerben von Geldern, betrieb
Althoff mit Akribie; den Herausgebern des Bandes gelingt es anhand der
Quellen, dies transparent zu machen. Auch die ständige Suche Althoffs
nach Möglichkeiten zu Reformen läßt sich klar dokumentieren.
Rebenich und Franke haben
ganze Arbeit geleistet. Von großem Reiz ist es, zu sehen, wie
respektvoll, überaus höflich und zugleich verbindlich die beiden Herren –
denn es waren wirkliche Herren – ihre Nachrichten formulierten. In
Zeiten, in denen Lateinschüler beigebracht kriegen, „Ave Caesar“ sei mit
„Hallo Kaiser“ zu übersetzen, ist diese Lektüre ein Hochgenuß. Auch
Briefe Dritter, die Althoff und Mommsen zur gegenseitigen Information
austauschten, sind durch die Herausgeber berücksichtigt worden, was der
Einordnung des Briefwechsels in den zeithistorischen Kontext enorm
zugute kommt.
Bildungs-
und Kulturpolitik im wilhelminischen Kaiserreich werden im
dokumentierten Briefwechsel in weitem Radius beleuchtet, denn Mommsen
und Althoff waren, obschon Letzterer nicht sehr bekannt ist, tatsächlich
zwei Persönlichkeiten, die das ab 1871 geeinte und gebietsmäßig
saturierte Deutsche Reich auf ihrem Gebiet maßgeblich gestalteten. Das
Ergebnis: deutsche Universitäten genossen in jenen Jahren Weltruhm.
Interessant ist eine lange Disputation aus dem Jahre 1889 über die
Erforschung des damals in den ländlichen Lagen quasi unerforschten und
in seinem Verlauf weithin unbekannten römischen Limes – heute ist dieses
Kulturdenkmal auf der UNESCO-Liste des Welterbes verzeichnet. Das
„System Althoff“ griff vom Gebiet der reinen Bildungsfragen nahtlos in
das Kulturressort über – Althoff hatte wenig Berührungsängste und noch
weniger Respekt, wenn es denn ein lohnendes Ziel zu erreichen galt. Hier
zeigt sich zugleich ein Geist, der aus den Wurzeln Kants und Humboldts
gespeist wird, und der so gar nichts mit dem vielzitierten
„wilhelminischen Geist“ zu tun hat.
Die Machart des Bandes ist
auf den Gebrauch im wissenschaftlichen Betrieb ausgerichtet. Die
Ausstattung ist nicht unbedingt als opulent zu bezeichnen, aber Papier,
Satz und Druck sind von überzeugender Qualität. Ein ausführliches
Register, in einem solchen Band absolut unverzichtbar, ist im
wünschenswerten Umfang vorhanden. Ein 890 Seiten starker Band, der ein
so spezielles Thema wie den Briefwechsel zweier Wissenschaftler
behandelt, hat dabei seinen Preis – angesichts der Qualität der
Dokumentation zurecht.
Stefan Rebenich, Gisa Franke (Hrsg.), Theodor Mommsen und Friedrich Althoff. Briefwechsel 1882 – 1903, Oldenbourg, München 2012, 890 Seiten, gebunden, 124 Euro, ISBN 978-3-486-70104-3.