Untergang und Neubestimmung – das kaisertreue Corps Ottonen
Das Akademische Corps der Ottonen in Wien wurde gegründet, um der kritischen Haltung großer Teile der Studentenschaft gegen die erzwungene Abdankung der Habsburger ein Forum zu geben und wurde später zu einer der effektivsten und zugleich heute am wenigsten bekannten Widerstandszellen gegen das NS-Regime und gegen die deutsche Besetzung Wiens im Jahre 1938.
Das Wiener Corps Ottonen
wurde am 18. Okt. 1922 ursprünglich gegründet, um die
Bestimmungsmensuren der Mutterverbindung Wasgonia zu Wien – der auch
Kaiser Karl I. angehörte – abzudecken. Hier trafen sich vor allem
zahlreiche Monarchisten, die eine sehr klare Haltung einnahmen. Gerade
das Corps Ottonen entwickelte sich zur führenden Verbindung der
legitimistischen Richtung und dann zu einer Gruppe erbitterter Gegner
des Nationalsozialismus. Allein schon deshalb ist es höchst
verdienstvoll, daß der Autor Dr. Christian Prosl ein Buch vorgelegt hat,
in dem dieser ganz eigenen Form eines überaus entschiedenen Widerstands
Tribut gezollt wird. Denn der Blutzoll, den die Ottonen unter dem
nationalsozialistischen Terror zu entrichten hatten, ist furchtbar hoch.
Legitimistische
Corps – das sei an dieser Stelle, noch vor einer Würdigung des Buches
erwähnt – waren eine Erscheinung der Zwischenkriegszeit in Österreich.
Es handelte sich um schlagende akademische Verbindungen, die sich in
allen bekannten Fällen früher oder später als Corps bezeichneten. Gemeinsam war ihnen, daß sie nach dem Zusammenbruch der Monarchie
aus konservativen Kreisen, ehemaligem Adel und Militär entstanden
waren. In der Ersten Republik Österreichs war für diese als politisch
positioniert wahrgenommenen Neugründungen kein Platz in den
Dachverbänden KSCV und WSC. Der Gruppe der legitimistischen Corps, die
sich übrigens auch als WSC bezeichnete, was aber mit den Weinheimer
Corps nichts zu tun hat, gehörten die Corps Wasgonia, Ottonen,
Woelsungen, Karolinger, Palaio-Austria, Athesia und das Corps der
Wikinger an. Aus Graz stieß Danubia dazu, und dieses Corps hat sich
beizeiten dem KSCV angenähert und ist heute das einzige Corps
legitimistischer Prägung im Kösener Dachverband.
„Tödliche Romantik“ con
Christian Prosl ist im Auftrag des Vereins für österreichische
Studentengeschichte von Dr. Peter Krause und Herbert Fritz 2008
herausgegeben worden. In der dort verlegten Reihe „Tradition und
Zukunft“ ist es Band XII.; der Autor, Prosl, ist zum Zeitpunkt der
Niederschrift dieser Rezension übrigens Botschafter der Republik
Österreich in Deutschland.
Ausführlich und stilsicher
entwickelt Prosl das Bild einer Verbindung in der unsicheren Zeit nach
dem ersten Weltkrieg. Er charakterisiert die jungen Männer, die treu zu
den ererbten Werten stehen und später zusammen mit dem potentiellen
Thronfolger, SKKH Otto v. Habsburg, im Widerstand zusammenarbeiten
sollten. Ausgezeichnet informiert, da sein eigener Vater dem Corps
Ottonen angehörte, schildert Prosl den Weg der eingehaltenen Werte, der
diese Männer in einer Romantik der Treue am Haus Habsburg festhalten
ließ. Es war dieser Weg, der sie in den Widerstand gegen das NS-Regime
führte, ja, führen mußte. Der damit ab dem Einmarsch der Deutschen in
Wien am 13. März 1938 zum Ausdruck der im Buchtitel genannten „tödlichen
Romantik“ wurde. Am Tag des Einmarschs der Wehrmacht in Wien mußte das
Corps Ottonen zwangsweise suspendieren, doch die schonungslose,
grauenhafte Verfolgung seiner Mitglieder sollte erst beginnen. Christian
Prosl schildert sie sachlich, schnökellos, schonunglos.
Legitistisch zu sein – das
bedeutete im Österreich nach den Habsburgern, daß die so durch
Rezeptionseid gebundenen Studenten weder der Kirche noch großen
internationalen Bewegungen wie Liberalismus und Sozialismus vertrauen
mochten, sondern einem konservativen Welt- und Menschenbild verpflichtet
waren und blieben. Hier hat – ungeachtet aller heutigen Aussagen zu
Einzelfragen der Tagespolitik – die freiheitliche Bewegung in Österreich
eine wesentliche Wurzel, aus der sie bis heute ihre Kraft zieht.
Zurück
in die dunkle Zeit, die in Wien spätestens am 13. März 1938 mit dem
Einmarsch der braunen Kolonnen begann. Erschütternd ist, was die
Mitglieder des Corps der Ottonen zu erleiden hatten. Karl Burian, der
verdiente Senior, wurde am 13. März 1944, dem sechsten Jahrestag des
Einmarschs der Deutschen in Wien, mit dem Fallbeil enthauptet. Viele
weitere litten im Konzentrationslager, im Gefängnis, im Exil. Auch von
einem Spion, den die Gestapo eigens im Corps der Ottonen einschleuste,
weil dem NS-Regime dieses Corps eine große Gefahr zu sein schien,
berichtet Prosl sachlich und sorgfältig. Ein höchst spannedes Stück
Zeitgeschichte – mit einem kleinen, einem späten, aber einem wichtigen
Happy-End: Die Überlebenden des alten Corps der Ottonen trafen sich nach
der Befreiung regelmäßig, und nach längeren Überlegungen wurde am 19.
Oktober 2007, zum 85. Stiftungsfest des Corps, ein neues Corps der
Ottonen gestiftet. Bereits 15 Jahre zuvor, am 28. August 1992, war m
Geist der Ottonen die „Österreichische Studentenverbindung Ottonia“
gegründet worden. Diese bildet den Stamm, aus dem das heutige, das neue
Corps Ottonen entsproß. Wahrlich ein versöhnendes Moment nach unendlich
großem Leid. Dieses äußerst empfehlenswerte Buch schließt eine Lücke!
Hinzuweisen ist noch auf
die 2006 erschienenen Erinnerungen von Willy Klein, der dem Corps
Ottonen angehörte. Seine Erinnerungen tragen den vielsagenden Titel
„Abenteurer wider Willen“ Das Buch wurde von Christian Prosl übersetzt,
da Klein auf französisch schrieb, denn er lebte später in Montpellier.
Den Klein’schen Memoiren wurde durch Prosl ein höchst nützlicher Beitrag
zur Geschichte der kaisertreuen Corps im Wien der Zwischenkriegszeit
mitgegeben, der allein schon die Lektüre lohnt. In der Reihe des Vereins
für österreichischen Studentengeschichte trägt dieser nicht minder
empfehlenswerte Band die Nummer IX.
Die Klein-Erinnerungen und
die Würdigung des Corps Ottonen ergänzen sich und zeigen – jedes für
sich, am besten aber zusammen – das Bild einer düsteren, einer
gefährlichen Epoche. Das Bild einer Zeit, in der die Mutigen, die
Aufrechten über Jahre hin in Lebensgefahr waren, wenn sie taten, was zu
tun war. Weil sie taten, was zu tun war. Viele sind gestorben, und es
ist wichtig, ihrer zu gedenken.
Sebastian Sigler