Das legitimistische Corps der Ottonen

Von | 12. März 2010

Untergang und Neubestimmung – das kaisertreue Corps Ottonen

Das Akademische Corps der Ottonen in Wien wurde gegründet, um der kritischen Haltung großer Teile der Studentenschaft gegen die erzwungene Abdankung der Habsburger ein Forum zu geben und wurde später zu einer der effektivsten und zugleich heute am wenigsten bekannten Widerstandszellen gegen das NS-Regime und gegen die deutsche Besetzung Wiens im Jahre 1938.

Das Wiener Corps Ottonen wurde am 18. Okt. 1922 ursprünglich gegründet, um die Bestimmungsmensuren der Mutterverbindung Wasgonia zu Wien – der auch Kaiser Karl I. angehörte – abzudecken. Hier trafen sich vor allem zahlreiche Monarchisten, die eine sehr klare Haltung einnahmen. Gerade das Corps Ottonen entwickelte sich zur führenden Verbindung der legitimistischen Richtung und dann zu einer Gruppe erbitterter Gegner des Nationalsozialismus. Allein schon deshalb ist es höchst verdienstvoll, daß der Autor Dr. Christian Prosl ein Buch vorgelegt hat, in dem dieser ganz eigenen Form eines überaus entschiedenen Widerstands Tribut gezollt wird. Denn der Blutzoll, den die Ottonen unter dem nationalsozialistischen Terror zu entrichten hatten, ist furchtbar hoch.

Legitimistische Corps – das sei an dieser Stelle, noch vor einer Würdigung des Buches erwähnt – waren eine Erscheinung der Zwischenkriegszeit in Österreich. Es handelte sich um schlagende akademische Verbindungen, die sich in allen bekannten Fällen früher oder später als Corps bezeichneten. Gemeinsam war ihnen, daß sie nach dem Zusammenbruch der Monarchie aus konservativen Kreisen, ehemaligem Adel und Militär entstanden waren. In der Ersten Republik Österreichs war für diese als politisch positioniert wahrgenommenen Neugründungen kein Platz in den Dachverbänden KSCV und WSC. Der Gruppe der legitimistischen Corps, die sich übrigens auch als WSC bezeichnete, was aber mit den Weinheimer Corps nichts zu tun hat, gehörten die Corps Wasgonia, Ottonen, Woelsungen, Karolinger, Palaio-Austria, Athesia und das Corps der Wikinger an. Aus Graz stieß Danubia dazu, und dieses Corps hat sich beizeiten dem KSCV angenähert und ist heute das einzige Corps legitimistischer Prägung im Kösener Dachverband.

„Tödliche Romantik“ con Christian Prosl ist im Auftrag des Vereins für österreichische Studentengeschichte von Dr. Peter Krause und Herbert Fritz 2008 herausgegeben worden. In der dort verlegten Reihe „Tradition und Zukunft“ ist es Band XII.; der Autor, Prosl, ist zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Rezension übrigens Botschafter der Republik Österreich in Deutschland.

Ausführlich und stilsicher entwickelt Prosl das Bild einer Verbindung in der unsicheren Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Er charakterisiert die jungen Männer, die treu zu den ererbten Werten stehen und später zusammen mit dem potentiellen Thronfolger, SKKH Otto v. Habsburg, im Widerstand zusammenarbeiten sollten. Ausgezeichnet informiert, da sein eigener Vater dem Corps Ottonen angehörte, schildert Prosl den Weg der eingehaltenen Werte, der diese Männer in einer Romantik der Treue am Haus Habsburg festhalten ließ. Es war dieser Weg, der sie in den Widerstand gegen das NS-Regime führte, ja, führen mußte. Der damit ab dem Einmarsch der Deutschen in Wien am 13. März 1938 zum Ausdruck der im Buchtitel genannten „tödlichen Romantik“ wurde. Am Tag des Einmarschs der Wehrmacht in Wien mußte das Corps Ottonen zwangsweise suspendieren, doch die schonungslose, grauenhafte Verfolgung seiner Mitglieder sollte erst beginnen. Christian Prosl schildert sie sachlich, schnökellos, schonunglos.

Legitistisch zu sein – das bedeutete im Österreich nach den Habsburgern, daß die so durch Rezeptionseid gebundenen Studenten weder der Kirche noch großen internationalen Bewegungen wie Liberalismus und Sozialismus vertrauen mochten, sondern einem konservativen Welt- und Menschenbild verpflichtet waren und blieben. Hier hat – ungeachtet aller heutigen Aussagen zu Einzelfragen der Tagespolitik – die freiheitliche Bewegung in Österreich eine wesentliche Wurzel, aus der sie bis heute ihre Kraft zieht.

Zurück in die dunkle Zeit, die in Wien spätestens am 13. März 1938 mit dem Einmarsch der braunen Kolonnen begann. Erschütternd ist, was die Mitglieder des Corps der Ottonen zu erleiden hatten. Karl Burian, der verdiente Senior, wurde am 13. März 1944, dem sechsten Jahrestag des Einmarschs der Deutschen in Wien, mit dem Fallbeil enthauptet. Viele weitere litten im Konzentrationslager, im Gefängnis, im Exil. Auch von einem Spion, den die Gestapo eigens im Corps der Ottonen einschleuste, weil dem NS-Regime dieses Corps eine große Gefahr zu sein schien, berichtet Prosl sachlich und sorgfältig. Ein höchst spannedes Stück Zeitgeschichte – mit einem kleinen, einem späten, aber einem wichtigen Happy-End: Die Überlebenden des alten Corps der Ottonen trafen sich nach der Befreiung regelmäßig, und nach längeren Überlegungen wurde am 19. Oktober 2007, zum 85. Stiftungsfest des Corps, ein neues Corps der Ottonen gestiftet. Bereits 15 Jahre zuvor, am 28. August 1992,  war m Geist der Ottonen die „Österreichische Studentenverbindung Ottonia“ gegründet worden. Diese bildet den Stamm, aus dem das heutige, das neue Corps Ottonen entsproß. Wahrlich ein versöhnendes Moment nach unendlich großem Leid. Dieses äußerst empfehlenswerte Buch schließt eine Lücke!

Hinzuweisen ist noch auf die 2006 erschienenen Erinnerungen von Willy Klein, der dem Corps Ottonen angehörte. Seine Erinnerungen tragen den vielsagenden Titel „Abenteurer wider Willen“ Das Buch wurde von Christian Prosl übersetzt, da Klein auf französisch schrieb, denn er lebte später in Montpellier. Den Klein’schen Memoiren wurde durch Prosl ein höchst nützlicher Beitrag zur Geschichte der kaisertreuen Corps im Wien der Zwischenkriegszeit mitgegeben, der allein schon die Lektüre lohnt. In der Reihe des Vereins für österreichischen Studentengeschichte trägt dieser nicht minder empfehlenswerte Band die Nummer IX.

Die Klein-Erinnerungen und die Würdigung des Corps Ottonen ergänzen sich und zeigen – jedes für sich, am besten aber zusammen – das Bild einer düsteren, einer gefährlichen Epoche. Das Bild einer Zeit, in der die Mutigen, die Aufrechten über Jahre hin in Lebensgefahr waren, wenn sie taten, was zu tun war. Weil sie taten, was zu tun war. Viele sind gestorben, und es ist wichtig, ihrer zu gedenken.

Sebastian Sigler