Adam v. Trott zu Solz hatte eine bedeutende Rolle im deutschen Widerstand gegen Hitler. Das ist bekannt, wie auch die Stationen im Leben dieses Widerstandskämpfers bis hin zu seiner Verhaftung, dem Prozeß, dem Todesurteil und dem fast märtyrerhaften Tod. Mitzuteilen, wer Adam v. Trott war – darum mußte es Benigna v. Krusenstjern nicht gehen.
Eine Biographie mit beeindruckender Faktenfülle setzt unaufdringlich Maßstäbe. Schlägt man das schöne, sorgfältig gearbeitete und bibliophilen Ansprüchen durchaus genügende Buch auf, wird man sofort hineingezogen in das Leben des Adam v. Trott zu Solz. Akribisch recherchiert und in angenehmem Ton erzählt Benigna v. Krusenstjern von der Familie Trott zu Solz, von amerikanischen Vorvätern. Dann vom Leben Adams, Stück für Stück – sorgfältig.
Die Autorin läßt kein Detail aus, legt die Ereignisse nebeneinander,
setzt sie in Bezug, erstellt das Bild eines erzählenswerten Lebensweges,
verdichtet durch narrative Qualität, enthält sich unnötiger Wertung.
Zunächst wundert sie den Leser über diese Studie, der zweifelsohne eine
unerhört umfangreiche Recherche zugrundeliegt, denn natürlich erwartet
man Fakten zum 20. Juli 1944. Doch Stück für Stück, Seite um Seite,
wächst die Erkenntnis, daß hier ein weiterreichendes Bild entsteht, weil
Zwischentöne fein herausgefiltert und differenziert wiedergegeben sind.
Aus dem Nachwort, der
Quintessenz des Buches scheint der Satz auf: „Ungeachtet der kurzen
Zeitspanne von 35 Jahren war das Leben von Adam von Trott zu Solz
überaus bewegt und abwechslungsreich.“ Ist das eine Banalität? Mag sein.
Aber es ist genauso gut das Abbild der Dinge, so wie sie waren. Und das
Leben von Trott war, das ist zugleich geklärt, weder langweilig noch
statisch noch spießig und eng. Wichtiger als die Klärung dieser Frage
sei die Feststellung genommen, daß Benigna v. Krusenstjern sich als
Meisterin der unaufgeregten Sorgfalt präsentiert.
Der 20. Juli 1944, das
Attentat auf Hitler: deswegen wird man gerade heutzutage auf Trott
aufmerksam. Geht dieses Ereignis mit all seinen Schauplätzen auf den
über 600 engbeschriebenen Seiten dieses ausgewachsenen Buches etwas
verloren? Möglicherweise ja – aber das bedeutet keinen Abstrich.
Hinzuweisen ist stattdessen auf eine höchst wichtige Qualität. Wie auf
einem Gemälde von Albrecht Altdorfer entfaltet sich ein Panorama von
Vollständigkeit, die Transparenz erzeugt. Man erfährt genug über die
Hintergründe der Familie von Trott und über die Entstehungsgeschichte
des Anschlags gegen Hitler, um wie von selbst eine valide Idee davon zu
erhalten, daß der Widerstand gegen Hitler tatsächlich ein Ausdruck des
Wollens einer großen, weil zutiefst in der deutschen Geschichte
verwurzelten Gruppe von Familien war und damit – um eine etwas
abgegriffenen Terminus zu bemühen – aus der Mitte des Volkes kam. Einer
der wohl wichtigsten Verse des 20. Jahrhunderts, er stammt von Albrecht
Haushofer, wird sinnfällig erklärt: „Es gibt wohl Zeiten, die der
Irrsinn lenkt. / Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt.“
Benigna v. Krusenstjern kommt
das große Verdienst zu, ein Panorama entfaltet zu haben, das anhand der
Schilderung einer Lebensgeschichte die Gültigkeit dieses Satzes wie mit
der logischen Kraft eines mathematischen Beweises klärt. Dieses Buch
über Adam v. Trott zu Solz erklärt an einem Beispiel die Dimension des
deutschen Widerstands gegen Hitler, sie zeigt dessen meist unterschätzte
Größe. Benigna v. Krusenstjern bereichert ihre Leser um ein Stück
Erkenntnis zur Geschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland, ja, in
Europa. Die Lektüre ihres Werks kann wärmstens empfohlen werden.
Sebastian Sigler
Benigna v. Krusenstjern, “daß es Sinn hat zu sterben – gelebt zu haben”: Adam von Trott zu Solz 1909 – 1944, Biographie; Wallstein-Verlag, Göttingen 2009; 608 Seiten, gebunden, Goldprägung, Schutzumschlag, 34,90 Euro.
Als Quellensammlung und natürlich auch als korrespondierende Biographie sei empfohlen die Neuausgabe des Buches von Clarita v. Trott zu Solz, das bereits 1994 erschien: Clarita von Trott zu Solz, „Adam von Trott zu Solz. Eine Lebensbeschreibung. Mit einer Einführung von Peter Steinbach“, Lukas-Verlag, Berlin 2009, 368 Seiten, 19,80 Euro.