Der Studentenhistoriker Axel Bernd Kunze war eingeladen, in Bamberg die Zivilcouragerede 2023 der Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg zu halten. Diese Rede markiert ein doppeltes, ernstes Jubiläum, denn einerseits war es die zehnte ihrer Art, zugleich gilt das Gedenken dem neunzigsten Todestag Wilhelm Arons, genannt Willy. „Wenn man heute in Bamberg der Opfer des Nazismus gedenkt, dann ist an erster Stelle ein Name zu nennen – Willy Aron. Er war der erste Bamberger, der im Kz. Dachau sein Leben für Recht und Freiheit lassen mußte.“ Das sagte der Bamberger SPD-Politiker Georg Grosch 1947, der ebenso wie Willy Aron der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) angehörte und nach der NS-Machtergreifung für kurze Zeit gleichfalls ins Konzentrationslager Dachau verschleppt wurde. Grund genug, in der zehnten Auflage dieser inzwischen zu einer echten Institution gewordenen Rede über deren zentrale Begriffe, Freiheit und Zivilcourage, zu sprechen. Hier der Link zum Volltext dieses bemerkenswerten Vortrags.
Axel Bernd Kunze mahnt mit Blick auf die heutige Gesellschaft, das Schicksal Willy Arons im Blick:
Werte können nur in einem Klima wachsen, das selbst durch Werte geprägt ist. Eine Gemeinschaft kann den Einzelnen dabei unterstützen, seine Freiheit zunehmend zu kultivieren und eine eigenständige Haltung zum Gelernten aufzubauen. (…) Wenn Heranwachsenden die Forderung und Herausforderung, sich anzustrengen, verweigert wird, fehlt ihnen eine wesentliche Bedingung dafür, zu entdecken, was in ihnen steckt und ihre Persönlichkeit zunehmend eigenständiger in der Bewältigung der Herausforderung zu entwickeln.
Bildung bereitet nicht einfach auf eine Zukunft vor, die bereits vorgegeben ist, sondern soll den Einzelnen dazu befähigen, diese Zukunft erst gemeinsam mit anderen hervorzubringen. Und auch was Gemeinwohl und soziale Gerechtigkeit bedeuten, lässt sich nicht einfach aus ein für alle Mal gültigen Normen und Regeln ableiten, sondern muss immer wieder von neuem gesucht und angestrebt werden – im gemeinsamen Ringen um die höchsten Ziele und Inhalte des Lebens. Dies setzt selbständige Persönlichkeiten voraus, die gelernt haben, frei zu denken und frei zu handeln und für das einzustehen, was sie als gut und richtig erkannt haben.
Eines aber ist nicht möglich, wenn Erziehung nicht in Manipulation oder Indoktrination umschlagen soll: Die Aufgabe, „Ich“ zu sagen – zu entscheiden, wer ich sein will und wie ich leben will –, diese Aufgabe kann niemand dem Einzelnen abnehmen. Befähigung zur Selbstbestimmung bleibt immer Aufforderung zur Selbsttätigkeit. Freiheitsbewusstsein ist demnach kein fester Besitz; Freiheit muss immer wieder neu errungen und gelebt werden. Norbert Bolz spricht am Ende seines leidenschaftlichen Plädoyers „Die ungeliebte Freiheit“ vom Mut zur bürgerlichen Lebensführung, den wachzuhalten heute dringend geboten ist: „Denn zu nichts braucht man heute mehr Mut als zur Wahrnehmung des Positiven. Und damit erweist sich der Bürger auch als der letzte Träger der Aufklärung, der das ‚sapere aude‘ in eine Lebenspraxis der Freiheit umsetzt. Kants Mut zum Selberdenken konkretisiert sich heute als Mut zur Bürgerlichkeit, gemeint als Haltung, nicht als bestimmte Bindung an ein Milieu. So hat Odo Marquard den Begriff Zivilcourage übersetzt. Es gibt noch Ritterlichkeit, auch wenn es keine Ritter mehr gibt. Und es gibt noch Bürgerlichkeit, auch wenn es keine bürgerliche Gesellschaft mehr geben sollte.