Der US-Amerikaner Eric Metaxas hat sich eine große Aufgabe gestellt. Eberhard Bethge hatte schon bald nach 1945 eine große Bonhoeffer Biographie vorgelegt, die er als Augenzeuge und Wegbegleiter schreiben konnte, zudem konnte er mit allen überlebenden Zeitzeugen sprechen.
Viele dieser Quellen konnte der Yale-Absolvent Metaxas, der eine deutsche Mutter hat, allein schon durch die Zeitläufte nicht nutzen, denn die meisten Zeitzeugen sind verstorben. Die Frage, wie gut sein Werk neben der Bethge-Biographie bestehen kann, erscheint daher berechtigt. Der erste Eindruck zeigt, daß die wichtigen Aspekte enthalten sind, das Inhaltsverzeichnis ist knapp gehalten und macht Lust auf die Lektüre; der Prolog – über einen Gedenkgottesdienst für Bonhoeffer in London im Juli 1945 – ist so gekonnt wie anrührend und setzt gleich zu Beginn den nötigen, den ernsten, den internationalen, den weit über das dumpfe NS-Todesregime hinausweisenden Rahmen.
Am 4. Februar 1906 wurde Dietrich Bonhoeffer in Breslau geboren. Knapp und klar wird seine Herkunft geklärt – er kam von der väterlichen und fast mehr noch von der mütterlichen Seite aus bestem Haus. Die Kindheit, zunächst eine Idylle in Breslau und Berlin, war fast eine Parallele zur Geschichte des Deutschen Reichs – mit der Niederlage von 1918 war auch Bonhoeffer die Kindheit vorbei. Ereignisse wie den Mord an Walther Rathenau – „durch Rechtsbolschewisten“, wie er hellsichtig schrieb – erlebte er fast hautnah mit. Eben 17 Jahre alt erlangte er im Sommer 1923 die Hochschulreife und reiste unmittelbar darauf nach Tübingen. Sein Ziel war es, Theologie zu studieren.
Bonhoeffer wurde, wie sein Vater, bei der Verbindung „Igel“ in Tübingen aktiv. Metaxas erklärt den Begriff „Fuchs“ originell, aber nur auf diese Verbindung passend, was beweist, daß er weder zu Studienzeiten noch später mit Korporationen mitteleuropäischer Prägung in Kontakt kam. Auch kann der Autor nicht klar zwischen dem „Igel“ und einer Burschenschaft unterscheiden. Hoch ist Eric Metaxas indessen anzurechnen, daß er sich absolut objektiv und vorurteilsfrei mit Bonhoeffers Verbindung beschäftigt. Ganz so, wie das andernorts auch geschehen sollte. Völlig zutreffend kennzeichnet er diese Akademische Verbindung, die 1871 gegründet wurde, als eine, in die mit deutlich erkennbarer, aber geistreicher Ironie dem wilhelminischen Zeitgeist den Spiegel vorgehalten wurde, denn die „Igel“ trugen – und tragen – die Spottfarben schwarzgrau-silbergrau-mausgrau – eine Persiflage auf die mitunter hypertrophe Farbenwelt der Korporationen in der wilhelminischen Ära. 1920 hatten sie die Satisfaktion mit der Waffe abgeschafft; Bonhoeffer stand also nie auf Mensur
1935, nach der Machtübernahme
der Nationalsozialisten und der Gleichschaltung von immer mehr
Verbänden, von der auch der „Igel“ betroffen war, sollte Bonhoeffer aus
Protest sein Band niederlegen. Dies ist im Zusammenhang mit der absolut
gradlinigen Haltung des Theologen und seiner Tätigkeit im Widerstand zu
sehen. Entscheidend dafür, Bonhoeffer auch heute als Korporierten
anzusehen, ist aber die Tatsache, daß er überhaupt aktiv war: in einem
noch keinesfalls von NS-Umtrieben berührten „Igel“. Metaxas schreibt
hier weit objektiver und kenntnisreicher als einst Bethge, dem der
generelle Einblick in die Geheimnisse des Korporationswesens offenkundig
fehlte.
Gut und flüssig lesen sich die Passagen, in denen Metaxas über Bonhoeffers außergewöhnliche akademische Erfolge berichtet. Auch die ersten Berufsjahre als Prediger und die lange unklare Weichenstellungen zwischen Karriere als Professor und dem praktischen Predigtdienst, die letztlich zugunsten der Kanzel ausging, illustriert der Autor mit gekonntem Schreibstil. Doch diese Sachverhalte sind auch weitgehend unstrittig.
Den weit schwieriger zu schildernden Kirchenkampf in den frühen Jahren des NS-Regimes stellt Metaxas ausführlich und sachlich vollständig dar. Leider nimmt er nun aber immer wieder die Perspektive „ex post“ ein, also die Sichtweise dessen, der vom Ausgang her betrachtet, wie alles hat kommen müssen. Diese klare Perspektive war denen, die im Kampf um den Glauben standen, nicht gegeben – auch Bonhoeffer nicht. So wirkt diese Passage des Buch stellenweise tendentiös, und das schmälert den Ertrag fühlbar, denn durch eine solche Herangehensweise besteht immer die Gefahr, daß über die in Gewissensnot Handelnden nicht objektiv geurteilt wird. Mit ausführlicherer Schilderung manch theologischer Fragestellung – so vorbildlich bei Bethge zu lesen – hätte Metaxas noch feiner, noch fundierter urteilen können.
eicht tendentiös sind leider auch die Schilderungen von Nazigrößen. Bei diesen handelt es sich um Verbrecher an der Menschlichkeit, um Massenmörder, die durch Taten ohne Vergleich für alle Zeiten gerichtet sind. Hitler habe sich, so Metaxas, mit Verrückten und Krminellen umgeben – nun, das mag angehen. Aber, so Metaxas weiter, der Diktator sei „in der Öffentlichkeit oft mit einer Reitpeitsche aufgetreten“ – es dürfte Schwierigkeiten bereiten, dies anhand von Bildmaterial zu belegen. Ebensowenig ist es mehr nötig, über Reinhard Heydrich – wie Metaxas auf Seite 387 – zu schreiben: „Eine der finstersten in der Schurkengalerie des Dritten Reichs, besaß Heydrich einen Gesichtsausdruck, der aus der lichtlosen Welt der Tiefsee stammen könnte.“ Gerade in diesem Satz wird zudem eine gewisse Nähe an die englische Syntax sichtbar, die sich der Übersetzer immer wieder einmal erlaubt hat. Auch die Kapitelüberschrift „Das Ende Deutschlands“ für die Passage, in der – ab Seite 427 – die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs geschildert wird, ist eine weitgreifende, ja, erklärungsbedürftige Metapher. Auch übertreibt der Autor unnötig, wenn er urteilt, in Berlin sei anläßlich der Olympischen Spiele 1936 „eine ganze Lügenstadt“ errichtet worden.
Doch Metaxas‘ Ausarbeitung beweist immer wieder auch große Stärken. Gut und fundiert wird die Entstehung der Bekennenden Kirche geschildert, auch wenn die notwendige Information zur Ökumene der dreißiger Jahre fehlt, daß nämlich die römisch-katholische Kirche sich im Gegensatz zur evangelischen von Amts wegen dem Nationalsozialismus prinzipiell verweigerte.
Starke Passagen sind auch die Schilderungen der Lebensstationen Dietrich Bonhoeffers vom konsequenten Theologen zum Streiter für den klaren, unverfälschten Glauben hin zum einsamen Propheten im geistigen Abgrund des totalitären Staates. Ab 1939 wandelte sich der Widerstand gegen das NS-Regime im Abgrund des immer totaleren Krieges deutlich und notgedrungen. Sehr richtig stellt Metaxas fest, daß ein Hitler ab der Entfesselung der Krieges nur noch durch das Militär beseitigt werden konnte – im übrigen ein Aussage, die größte Auswirkungen für den zivilen Widerstand hatte, allen voran sind hier die Gruppen im Auswärtigen Amt und im Amt Abwehr zu nennen, wobei in letzterer Gruppe Bonhoeffers Schwager Hans v. Dohnanyi maßgeblich wirkte.
Bei der Schilderung der Zeit ab dem Attentat vom 20. Juli 1944 ergeht sich Metaxas dann bedauerlicherweise in Stereotypen. Er schildert Greuel in Konzentrationslagern – eine wichtige Sache, doch Bonhoeffer hat derartige Folter nie erleben müssen. So schlimm und unvergleichlich diese schwärzesten Ereignisse der deutschen Geschichte sein mögen, in einer Bonhoeffer-Biographie hätte eine knappere, eine summarische Nennung nebst bibliographischer Hinweise genügt, denn diese Verbrechen betreffen den Protagonisten nur mittelbar. Auch Berichte über Greueltaten, die jedoch nicht beweisbar sind, müßten zumindest durch einen entsprechenden Vermerk gekennzeichnet sein. Konkret trifft das auf die immer wieder erzählte und von Metaxas herangezogene Geschichte zu, der Lagerkommandant von Buchenwald habe seiner Frau eine Lampe geschenkt, deren Schirm mit Menschenhaut bezogen gewesen sei. Hier hätte der Autor sich nicht treiben lassen dürfen.
Eine starke Seite der Bonhoeffer-Biographie ist wiederum die Machart. Der Band ist rein äußerlich überzeugend. Das Design ist gut, zeitgemäß, ansprechend. Die Schrittype nicht zu klein, der Satz gelungen; die beiden Bildteile sind auf Wesentliches begrenzt, von der Machart her insgesamt rund, allerdings stören die relativ vielen Bilder hoher NS-Funktionäre. Als Illustration allgemeiner Geschichtswerke mögen sie hilfreich sein, in einem Buch über Bonhoeffer erscheinen sie doch eher entbehrlich. Dezidiert positive Lesermeinungen zum Buch sind gleich zu Beginn des Bandes abgedruckt – dies ein wenig befremdlich, letztlich aber eine Petitesse, die vielleicht dem Zeitalter von social media geschuldet ist. Kurze Kapitel und regelmäßig gesetzte Zwischenüberschriften machen das Werk extrem übersichtlich – fast ist die Benutzung als Nachschlagewerk möglich. Für Freunde des narrativen Stils ist das fast ein wenig viel der Lesehilfe, und so bedeuten diese häufigen Textunterbrechungen einen kleinen Abstrich vom guten Gesamteindruck.
Eine ausführliche Schilderung
des zu Beginn knapp geschilderten Londoner Gottesdienstes schließt
diese Biographie ab. Ein starker Rahmen für ein Buch, das Licht- und
Schattenseiten aufweist. Neben dem großen Vorgängerwerk kann es auf
seine Weise – wenn auch knapp – bestehen. Die Vorzüge dieser neuen
Ausarbeitung sind jedoch thematisch begrenzt. Das Referenzwerk zu
Bonhoeffer dürfte die Biographie von Eberhard Bethge bleiben.
Eric Metaxas, Bonhoeffer. Pastor, Agent, Märtyrer, Prophet, Holzgerlingen 2011²; 744 Seiten, Pappeinband gebunden, Lesefaden, zwei Bildteile s/w; 29,95 Euro.
Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse, München 1967, Gütersoloh 20048, 1126 Seiten, Originalausgabe mit Beiheft, gebunden, Fadenheftung, einige Bildtafeln s/w; aktuelle Ausgabe 24,95 Euro, als TB ab 8,99 Euro.
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